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EU-Ratschef verlangt
von Putin Aufklärung

Fall Litwinenko: Briten wollen in Moskau ermitteln

London (Reuters). Europaweit haben Politiker und Menschenrechtler vom russischen Präsidenten Wladimir Putin Aufklärung im Fall des vergifteten Ex-Agenten Alexander Litwinenko gefordert. Er hoffe, dass Putin den Ernst der Lage erkenne, sagte der EU-Ratsvorsitzende Erkki Tuomioja.

»Für die Glaubwürdigkeit des Systems und der Demokratie müssen solche Fälle gelöst werden, selbst wenn es um politische Gegner geht.«
Die britischen Ermittler kündigten an, in dem Fall Litwinenkos Videomaterial von Sicherheitskameras auszuwerten. Zuvor hatten die Fahnder an drei Aufenthaltsorten des ehemaligen russischen Spions in London radioaktive Rückstände gefunden. Die britischen Ermittler wollen auch nach Moskau reisen.
Auch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, rief Russland zur Zusammenarbeit auf. »Präsident Putin ist gut beraten, bei der Aufklärung der Vorgänge mit aller Kraft mitzuwirken«, sagte er. Sollte sich herausstellen, dass der russische Geheimdienst tatsächlich in die Ermordung des Ex-Agenten verwickelt gewesen sei, sei dies ein gravierender Vorgang.
Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, der Europarat werde sich nun des mysteriösen Todes Litwinenkos sowie des Falles der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja annehmen müssen.
Eine russische Menschenrechtlerin warf der EU im Fall Litwinenko Komplizenschaft mit Russland vor.
Es gebe eine »zynische Handelsformel« unter dem Motto »Schweigen für Gas«, schrieb Schor-Tschudnowskaja, Mitglied der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, in der »Frankfurter Rundschau«.
Litwinenko war, wie berichtet, in der Nacht zum Freitag gestorben. In einem Abschiedsbrief hatte er Russlands Präsident Wladimir Putin des Mordes bezichtigt.
Der russische Regimekritiker Andrej Nekrasow, der bis zuletzt am Sterbebett des Ex-Spions Alexander Litwinenko ausharrte, glaubt nach eigenen Worten nicht an einen Mordbefehl von Präsident Wladimir Putin. Der Giftanschlag mit der radioaktiven Substanz Polonium 210, dem Litwinenko am Donnerstagabend erlegen war, sei nach seiner Überzeugung das Werk »eines außer Kontrolle geratenen und extrem nationalistischen Geheimdienstes«, sagte Nekrasow am Wochenende in London.
Insofern könne er der Abschiedserklärung seines Freundes, in der dieser Putin direkt für den Anschlag verantwortlich gemacht hatte, nicht vollständig zustimmen, sagte Nekrasow. Der Filmemacher war unter anderem mit einer Dokumentation hervorgetreten, in der er - teils auf der Grundlage von Informationen Litwinenkos - den Geheimdienst FSB beschuldigte, Bombenanschläge auf Moskauer Wohnhäuser im September 1999 inszeniert und dann tschetschenische Aufständischen angelastet zu haben.
Nekrasow sagte, solche »abtrünnigen« Geheimdienstleute bildeten eine »extrem gefährliche und skrupellose Clique«, die weite Teile der Politik und Wirtschaft Russlands unter Kontrolle habe. Im Vergleich dazu sei das »frühere System von KGB-Funktionären durchschaubarer und sogar offener« gewesen.
Die Verantwortung für das Entstehen einer solchen Geheimclique trage allerdings der einstige Geheimdienstchef Putin selbst, sagte Nekrasow. »Er hat etwas herangezogen, was seine Machtbasis sein sollte, aber entstanden ist schließlich eine Gruppe von entarteten Extremisten - und diese Leute verfügen über Waffen, die weit gefährlicher sind, als diejenigen der muslimischen Extremisten.«

Artikel vom 27.11.2006