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WolfgangSchneiderhan

»Soldaten können keine Justiz, kein Schulwesen, keine Verwaltung aufbauen.«

Leitartikel
NATO-Gipfel

Deutschland hat in Riga
gute Karten


Von Dirk Schröder
Morgen werden sich die Mächtigsten der Welt erstmals auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion versammeln. Kurz vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft und nur wenige Tage nach ihrem einjährigen Dienstjubiläum erwartet die deutsche Bundeskanzlerin auf dem NATO-Gipfel in der lettischen Hauptstadt Riga ihre bisher schwierigste außenpolitische Bewährungs- und Belastungsprobe.
Beim Thema Afghanistan wird Angela Merkel unter scharfen Beschuss der Bündnispartner, allen voran der USA, geraten. Es wäre ein Leichtes für die deutsche Regierungschefin, ihren Duz-Freund George W. Bush zufriedenzustellen. Sie brauchte nur die Entsendung deutscher Soldaten in den Süden Afghanistans zuzusagen.
Doch genau dies wäre der falsche Weg, auch wenn schon wieder davor gewarnt wird, die transatlantische Partnerschaft sei bedroht und das bisher bewährte Verteidigungsbündnis stehe vor dem Auseinanderbrechen. Nein, Angela Merkel hat allen Grund, in Riga in die Offensive zu gehen und sich nicht in die Defensive drängen zu lassen.
Zugegeben, die Lage im Süden Afghanistans ist gegenwärtig weitaus gefährlicher als im Norden, Taliban und El Kaida sind wieder stark wie zu ihren besten Zeiten. Dafür gibt es Gründe, doch bisher haben vor allem die Amerikaner noch nicht eingesehen, dass mit ihrer Strategie das Land am Hindukusch nicht zu stabilisieren ist. Wer als Besatzer auftritt, darf sich nicht wundern, dass sich die Bevölkerung abwendet und stattdessen die Taliban-Terroristen zunehmend Rückhalt bei den geschundenen Menschen finden.
Dass es im Norden relativ ruhig ist, hat hauptsächlich mit der von der Bundeswehr praktizierten Verzahnung von Militäreinsatz und zivilem Wiederaufbau zu tun. Soldaten können keine Justiz, kein Schulwesen und keine Verwaltung aufbauen, wie Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan richtig festgestellt hat. Aber genau darauf wartet die von vielen Kriegen gepeinigte Bevölkerung doch.
Im Verantwortungsbereich der Bundeswehr sind bisher 520 Wiederaufbauprojekte in Angriff genommen worden - vom Aufbau der Wasserversorgung bis hin zum Bau von Schulen und Krankenhäusern. Wenn die internationale Gemeinschaft den Kampf um Afghanistan gewinnen will, sollte die NATO genau über diesen deutschen Ansatz diskutieren und nicht über zusätzliche Soldaten.
Die NATO kann noch so viele Soldaten in den Süden schicken. Wenn sie das Vertrauen der Bevölkerung nicht zurückgewinnt, werden diese auf verlorenem Posten stehen. Die Sowjets hatten 120 000 Soldaten in Afghanistan und mussten kleinlaut den Rückzug antreten.
Deutschland hat in Riga mit seinem Konzept bessere Karten als viele glauben und sollte diese deshalb auch selbstbewusst ausspielen.
Frieden lässt sich nicht herbeibomben, er kann nur durch eine bessere Verzahnung der militärisch-zivilen Zusammenarbeit erreicht werden.

Artikel vom 27.11.2006