24.11.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Der Favorit hat Fracksausen

Werder Bremen will das 1:0 gegen Chelsea in Barcelona veredeln

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Bremen (WB). Die Befürchtungen wurden hinter der Hand verbreitet. Niemand wollte solche Ängste in der doch so frohen Bremer Runde schüren: Vielleicht werden sie wieder als tragische Helden scheitern. So um die 88. Minute herum, auf bestürzend traurige Art.

Die Ausgangsposition ist erneut wie geschaffen für das große Ball-Drama. Großartiger deutscher Mittelstandsverein bringt die beiden Geldsäcke-FC's Chelsea und Barcelona in der Champions League in echte Erklärungsnot. Die Engländer flutschen so durch, der Titelverteidiger behauptet sich erst auf den letzten Drücker. Noch einmal hat das eingeschüchterte Imperium zurück geschlagen.
Die wackeren Werderaner verstehen sich auf solch trübselige Aufführungen. Vor ein paar Monaten kegelte sie kurz vor Schluss ihr eigener Torwart Wiese mit einer aberwitzigen Flugrolle bei Juventus Turin aus dem Wettbewerb, als er in nicht gebotener Tollkühnheit den Italienern zu einer finalen Chance verhalf, die sie unbarmherzig nutzten. In dieser Saison war es der argentinische Solist Messi, der im Auftrag von Barcelona 60 Sekunden vor Schluss Bremen aus dem Siegestraum riss.
Wäre dieser späte Treffer im Weserstadion nicht gefallen, dürfte der Tabellenzweite der Bundesliga schon jetzt die Anzüge zur Auslosung für das Achtelfinale aufbügeln. So aber bleibt ein letzter Berg vor dem großen Ziel. Um das 1:0 gegen den FC Chelsea London zu veredeln, müssen die Bremer am 5. Dezember aus Barcelona einen Punkt klemmen. Sonst sind sie weg vom Fenster, trotz einer tollen Vorrunde, in der die europäische Elite - bestehend aus dem Cup-Inhaber und seinem mutmaßlichen Nachfolger - das Maximum an Gegenwehr ertragen musste. Werder wunderbar.
Werder verwundbar, das gab es aber auch oft. Fast ungerührt fasste Thomas Schaaf den Abend zusammen: »Wir wollten das Endspiel, jetzt haben wir es.« Emotionen kann und will er sich derzeit nicht leisten. Er ist der Trainer, er muss so sein. Auch den erkennbaren Fortschritt in der Vergleichsarbeit bilanzierte Schaaf stocknüchtern. »Wir haben gegen Chelsea weniger Fehler gemacht als gegen Barcelona und deswegen dieses Mal gewonnen. Wir lernen jedes Mal dazu.«
Für die lauten Töne in Bremen ist auch nicht der Trainer zuständig, sondern der Torwart. Tim Wiese hat gesagt, was einer eben sagt, wenn es großes Kino gab, er selbst alles hielt, die Menschen aufstanden und den winkend an ihnen vorbeiziehenden Gewinnern begeistert Beifall spendeten: »Wir können in Barcelona gewinnen.«
Das ist nun auch nicht gleich erforderlich, eingeschüchtert zeigt sich der Favorit auch so. Katalanien vermeldete Anflüge von Fracksausen. »Das Spiel ist offen. Es wird ein echtes Finale«, richtete Ronaldinho respektvoll aus. Der Supermann im Starensemble war schon froh, dass der schwächelnde spanische Meister sich mühevoll vom bulgarischen Kanonenfutter Levski Sofia ernährte, sonst hätte es nicht einmal mehr zum Finale gereicht.
Bis es soweit ist, gibt es natürlich noch ein paar andere Dinge zu regeln an der Weser. Und vielleicht niemals in irgendeiner Tabelle, aber so doch im Terminplan folgt vor Barcelona Bielefeld. »Das wird für meine Mannschaft eine schwere Aufgabe«, sagte Schaaf. Eine Nacht hatte er über Chelsea geschlafen, am anderen Morgen gehörte die Aufmerksamkeit der Arminia, die er für einen äußerst unangenehmen Genossen hält.
In der Liga wirbelten die Bremer zwar auch schon so manches Mal wie die Champions, nur nicht mehr zuletzt. Ein mickriger »Dreier« in vier Begegnungen warf Werder zu den Verfolgern zurück. Dazu fehlt gegen den DSC der gesperrte Dreh- und Angelpunkt Diego. Nach der Chelsea-Kür würde sich Bremen mit einem Pflichtsieg bescheiden.
Auch das Liga-Duell mit Hertha BSC muss noch gemeistert werden, ehe Endspielzeit ist. Barcelona, die Bremer kommen - und dieses Mal haben sie nicht vor, das tragische Fach zu bedienen. Sie spielen für eine viel bessere Geschichte, mit folgender Schlagzeile: Titelverteidiger Barcelona - das Aus in der Vorrunde. Bremen hat doch schon genug gelitten.

Artikel vom 24.11.2006