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Eltern-Kritik an
Lehrerseminar

Hochstapler unterrichtet acht Monate

Von Christian Althoff
Herford (WB). Im Fall des Hochstaplers, der am Herforder Friedrichs-Gymnasium Latein und Englisch unterrichtet hat, haben Schülereltern gestern Vorwürfe gegen das Studiensemiar in Minden erhoben.

Gegen den falschen Lehrer ermittelt die Staatsanwaltschaft Bielefeld unter dem Aktenzeichen 71 JS 983/06. Sie wirft dem Mann, der bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, Urkundenfälschung und Betrug vor.
Wie berichtet, hatte sich der Sohn eines Lehrerehepaares mit einem gefälschten Zeugnis der Uni Bielefeld eine Referendarsstelle an dem Herforder Gymnasium erschlichen. Dort hatte er von Februar bis Ende Oktober in der Mittel- und Oberstufe Latein und Englisch unterrichtet - trotz fehlender Kenntnisse. Betreut worden war der angehende Lehrer vom Studienseminar in Minden, das ebenso wie die Seminare in Paderborn, Detmold und Bielefeld für die Ausbildung der Lehramtsanwärter in Ostwestfalen-Lippe verantwortlich ist.
»Mir ist unverständlich, dass die eklatanten fachlichen Schwächen dieses Mannes zwar meiner Tochter und deren Freundin schon in der ersten Woche aufgefallen sind, aber die Ausbilder am Studienseminar nichts gemerkt haben!«, sagte gestern die Mutter einer Schülerin.
Eine Schülervater erklärte, sein Sohn habe die Lateinhausaufgaben immer selbständig erledigt - bis er den neuen Lehrer bekommen habe. »Da waren wir Eltern plötzlich gefordert. Der Unterricht war offenbar so unstrukturiert - das hätten die Ausbilder doch merken müssen!«
Dazu erklärte gestern Prof. Dr. Stephan Thomas (56), der Leiter des Studienseminars in Minden, angehende Lehrer würden nur alle acht Wochen von ihrem Fachleiter besucht: »Es ist vom Schulministerium gewollt, dass Referendare neun Wochenstunden alleine unterrichten - ohne Begleitung.«
Und der Umstand, dass ein Referendar beim wöchentlich stattfindenden Unterricht im Studienseminar durch fehlende Kenntnisse auffalle, sei noch kein Grund, misstrauisch zu werden. »Wir bilden in Minden jährlich etwa 120 Lehrer aus, und es kommt immer mal wieder vor, dass wir deutliche Wissenslücken feststellen«, sagte der Leiter des Studienseminars. In diesen Fällen würden die Referendare angeleitet, sich die fehlenden Kenntnisse anzueignen. »Dass jemand unqualifiziert ist, weil er die Fächer nicht studiert hat - das habe ich jetzt zum ersten Mal erlebt.«
Der Hochstapler war aufgeflogen, weil sich die wenigen Latein-Referendare, die es gibt, nicht erinnern konnten, mit ihm in Bielefeld studiert zu haben. Dr. Thomas: »Hätte sich der Mann ein Fach mit einer größeren Studentenzahl ausgesucht - er hätte sich möglicherweise noch länger durchmogeln können.«

Artikel vom 24.11.2006