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Ein Monat in Bangladesch

Im September besuchte der Bielefelder Student Stefan Schohl mit der MATI NGO Organisation und einer Gruppe von Studenten aus ganz Deutschland eines der ärmsten Länder der Welt: Bangladesch. Dort nahm er einen Monat lang Einblick in die Arbeit einer Nicht-Regierungsorganisation und konnte die Bedürftigkeit der Menschen hautnah spüren. Über diese ganz besondere Exkursion berichtet Stefan Schohl für Scheinfrei.

Bangladesch ist neben Nepal das ärmste Land Südasiens. Auf einer Fläche doppelt so groß wie Bayern leben 150 Millionen Menschen. Damit ist es das bevölkerungsreichste Land der Erde. Die Hälfte der Einwohner lebt von ein bis zwei US-Dollar am Tag.
In fast 1000 Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) helfen Menschen aus dem In- uns Ausland, die wirtschaftliche und soziale Situation für die Bengalen zu verbessern. Eine dieser Organisationen ist die MATI NGO Bangladesch. Unter der Leitung von Lehnen Rahaman konzentriert sie ihre Arbeit auf den Nord-Osten des     Landes, den Di-       strikt Dhaka/Mymensingh/Huzurikanda, unweit der Grenze zu       Indien am Fluss Brahmaputra.
Es handelt sich um eine sehr ländliche Region, die von Armut besonders betroffen ist. Die Landwirtschaft stellt die größte Einnahmequelle dar. Überschüsse, die auf dem regionalen Basar verkauft werden können, werden nur in Ausnahmefällen erwirtschaftet und sind damit nur eine Art von unregelmäßigem und damit unzuverlässigem Erwerb.
Von dieser Situation am meisten betroffen sind die Frauen. Sie leiden nicht nur unter den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, sondern auch unter den von Männern dominierten Strukturen, die sie an den Rand der Gesellschaft drängen. Selbst die allermeisten Hilfsprojekte erreichen diesen Rand nicht. Ohne direkte und unmittelbare Unterstützung kann ihnen kein sozialer Aufstieg gelingen. Dieser ist aber dringend notwendig, um sie vor Hunger und Elend zu bewahren sowie die Möglichkeit einer ärztlichen Versorgung zu garantieren.
Die MATI NGO stellt sich mit ihrer Arbeit in den Dienst dieser Frauen und begründet Mikro-Kredit-Programme ohne Zinsen und die Bereitstellung von Sicherheiten oder Bürgschaften. Die Kredite werden nicht in Bargeld, sondern in Sachgütern wie Rinder, Hühner oder Nähmaschinen ausgezahlt. Von den hiermit erwirtschafteten Überschüssen werden die Kredite nach individuellen Möglichkeiten zurückgezahlt.
Zweimal im Jahr bietet die MATI NGO ein Workcamp mit dem Ziel an, Entwicklungshilfe und -politik hautnah erfahrbar zu machen. MATI steht im Verbund mit dem Verein »Netz« (www.netz-bangladesh.de), einer Organisation, die sich ebenfalls der Entwicklungshilfe in Bangladesch verschrieben hat. Außerdem wirbt MATI regelmäßig auf »epo.de«, einem entwicklungspolitischen Internetportal, für die Workcamps.
Wir Teilnehmer führten während unseres einmonatigen Aufenthaltes im September verschiedene Tätigkeiten innerhalb des Projektgebietes aus und lernten auf diese Weise die praktischen Aufgabengebiete innerhalb der NGO kennen: Bei MATI ging es darum, in der Projektschule Englischunterricht zu geben, den Kindergarten zu betreuen, handwerkliche Tätigkeiten oder Arbeiten im Projekt-Garten zu erledigen. Wir bekamen keinerlei Beschränkungen über Art und Dauer unserer Aufgaben, wir sollten uns aber in das Team aus einheimischen Lehrern und Mitarbeitern integrieren, um so den interkulturellen Austausch zu fördern.
Im Gegenzug bietet MATI den Teilnehmern ein umfangreiches politisches und kulturelles Rahmenprogramm an, das aus Vorträgen, Besuchen in Schulen, bei Bürgermeistern, UNO-Mitarbeitern und Vertretern anderer NGOs, Basarbesuchen, Ausflügen ins Umland und einer Tour auf einem historischen Raddampfer be-steht. Die MATI NGO legt großen Wert darauf, einen umfassenden Gesamteindruck von Bangladesch zu vermitteln.
Die Probleme der Menschen vor Ort betrafen auf einmal auch uns, was uns die Notwendigkeit von Veränderungen vor Augen führte. Ein Umstand, den nur ein Auslandspraktikum vermitteln kann und damit für alle zu empfehlen ist, die für sich erkennen wollen, dass Nachrichten, Bücher und Vorlesungen nur einen unzureichenden Einblick in die Entwicklungspolitik oder die Armutsforschung gewähren.
Selbst mein Studiengang der Sozialwissenschaften kann die Erfahrungen vor Ort nicht hinreichend ersetzen. Grundsätzlich bietet MATI Studenten aller Studiengänge die Möglichkeit das Workcamp zu erleben, dabei werden keine Erfahrungen in der Entwicklungspolitik vorausgesetzt. Allerdings müssen die Kosten vom Teilnehmer selber getragen werden. Dazu gehören ein Vorbereitungswochenende, Flug, Impfungen (Hepatitis A+B, Typhus) und eine Pauschale von 250 Euro für Unterkunft, Verpflegung und die Transfers innerhalb von Bangladesch. Als Taschengeld genügt ein Betrag von 30 Euro für den Monat, um hinreichend über die Runden zu kommen. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 1500 Euro. Dafür stellt MATI NGO eine offizielle Praktikumsbescheinigung aus, die man sich je nach Studienordnung anrechnen lassen kann.

Artikel vom 05.12.2006