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Der Neandertaler zeigt Zähne

Forscherteams konnten jetzt wichtige Teile des Erbguts entziffern

London/Leipzig (dpa). Die Kindheit des Neandertalers dauerte vermutlich genau so lange wie jene des modernen Menschen. Darauf weisen neue Untersuchungen an Neandertalerzähnen hin.
Zwei Neandertaler-Backenzähne - ein Milch- (links) und ein bleibender Zahn.

Eine internationale Forschergruppe um Christopher Dean vom University College in London erklärte, bisher hätten viele Wissenschaftler angenommen, dass der Neandertaler deutlich schneller erwachsen wurde als der moderne Mensch.
Die Gruppe untersuchte mit einem Computertomographen zwei Neandertaler-Backenzähne - einen Milchzahn und einen bleibenden Zahn. Jetzt berichten Dean und seine Kollegen von überraschenden Gemeinsamkeiten zwischen dem Neandertaler und dem modernen Menschen: Sowohl die Fertigstellung des Zahnschmelzes als auch das Hervortreten des Zahnes durch das Zahnfleisch fanden bei Homo neanderthalensis und finden beim Homo sapiens etwa im gleichen Alter statt.
Auch die Zahnentwicklung zum Zeitpunkt der Geburt sei beim Neandertaler und modernem Menschen gleich weit fortgeschritten. Das stellten Dean und seine Kollegen anhand der so genannten Neonatal-Linie fest, die sich bei der Geburt im Zahnschmelz abzeichnet.
Unterschiede fanden die Forscher bei der Verbindung von Zahnbein und Zahnschmelz: Während diese beim modernen Menschen an eine Hügellandschaft erinnert, ist sie beim Neandertaler wie ein Gebirge zerfurcht. Was das für die Funktion der Zähne bedeute, sei allerdings noch nicht klar.
Zwei andere internationale Forscherteams haben unterdessen wichtige Teile des Neandertaler-Erbguts entziffert. Erste Analysen zeigen demnach, dass sich die evolutionären Wege des modernen Menschen und des Neandertalers vor einer halben Million Jahre getrennt haben.
Eine Gruppe um Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie berichtet sogar von möglichen genetischen Hinweisen auf eine Kreuzung beider Hominiden. Bisher war eine genaue Untersuchung des Neandertalergenoms daran gescheitert, dass nicht genügend intaktes Erbmaterial zur Verfügung stand. Lediglich das separate Erbgut der Zellkraftwerke (Mitochondrien) war untersucht worden. Die Gruppe um Pääbo nutzte nun eine neue Technik, die Mitautor Michael Ronan für die Firma 454 Life Sciences in Branford (US-Staat Connecticut) entwickelt hat. Sie untersuchten mehr als 70 Knochen- und Zahnproben von unterschiedlichen Neandertalerfunden in Europa und Asien. Sechs davon waren gut genug erhalten, um DNA zu entnehmen. Mehr als eine Million DNA-Bausteine ließen sich rekonstruieren. Die Forscher hoffen, in nur zwei Jahren das gesamte Neandertalergenom entziffern zu können.
Der Vergleich der bislang entzifferten Neandertaler-DNA mit dem Erbgut von Mensch und Schimpanse ergab, dass sich der Neandertaler und der moderne Mensch vor etwa 516 000 Jahren trennten. Das stützt auch die Analyse einer Gruppe um Edward Rubin von Energy Joint Genome Institute in Walnut Creek (US-Staat Kalifornien).
Für die Suche nach dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertaler und modernem Mensch verglichen sie gezielt einzelne Gene mit jenen des Menschen. Rubin und seine Kollegen bestimmen damit das Alter des letzten gemeinsamen Vorfahren auf 706 000 Jahre. Vor 370 000 Jahren sei die Trennung der beiden Arten dann endgültig gewesen.
Aus Zahl, Art und Position der Veränderungen einzelner DNA-Bausteine im Neandertaler-Erbgut und dem Vergleich mit Mensch und Schimpanse folgert die Gruppe um Pääbo, dass es einen Gen-Austausch zwischen den Vorfahren des modernen Menschen und dem Neandertaler gegeben haben könnte. Ein solcher Erbgut-Transfer sei dann vermutlich vor allem vom Menschen zum Neandertaler erfolgt.

Artikel vom 23.11.2006