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Lügen zahlen sich
auf Dauer nicht aus

Aus dem Leben von Pfau und Hirsch

Bielefeld (sas). Der kräftige Pfau, der ein gewaltiges Rad schlägt und das Pfauenweibchen gewaltig beeindruckt, darf sich freuen: Wahrscheinlich wird sie ihn erwählen zum Erzeuger ihrer Brut. Sein blasser Kontrahent hingegen schaut womöglich in die Röhre - wenn er es nicht schafft, irgendeine Pfauendame zu bezirzen. Am besten durch Angeberei, dadurch, dass er stärker tut, als er ist.

»Do Animals Lie - Lügen Tiere?« hat Prof. Dr. Stephen Nowicki, Verhaltensforscher von der Duke University in North Carolina, USA, gefragt und in einem Vortrag in der Universität über den klassischen Konflikt zwischen dem »Sender« und »Empfänger« von Signalen gesprochen. Eingeladen hatte den Referenten Privatdozent Dr. Marc Naguib. Nowicki war Co-Betreuer seiner Doktorarbeit, die der Bielefelder Verhaltensforscher in den USA verfasste.
Es ist wie beim Menschen: Für den »Sender« von Signalen kann sich lügen lohnen - wenn er es nicht übertreibt. Einem Küken, das im Nest am weitesten den Schnabel aufreißt und tut, als ob es kurz vor dem Verhungern sei, wird vielleicht einmal mehr der Schnabel gestopft. Und der Pfau, der wie wild Rad schlägt, darf vielleicht viele Weibchen beglücken.
Deren Interesse aber muss sein, sich kein X für ein U vormachen zu lassen. Sie wollen schließlich ein Männchen mit gutem genetischen Material, damit der Nachwuchs eine gute Überlebenschance hat. Einmal lassen sie sich vielleicht täuschen. Ein zweites Mal nicht. »Auf Dauer reagiert der Empfänger nur auf Signale, die ehrlich sind.« Diese Ehrlichkeit aber kostet; weswegen die Angeber irgendwann nicht mehr mithalten können: Ein üppiger Pfauenschwanz behindert beim Fliegen (was für ein Prachtvogel muss das also sein, der sich dieses Handicap leisten kann, wie stark ist er, um das zu kompensieren, lautet die Botschaft), ein mächtiges Geweih ist auch eher lästig. Und herrliches Tirilieren vom Morgen bis zum Abend, das die weibliche Vogelwelt beeindrucken soll, kostet den Singvogel mächtig Energie.
Diese »Kosten«, diesen Preis zahlen die Tiere, die nur so tun als ob, nicht. Insofern lohnt sich ihre »Lüge«. Aber ihre Angeberei, das Vorspiegeln falscher Tatsachen kann auch riskant sein: »Wer Aggression und Stärke vorgibt, geht das Risiko ein, in Kämpfe verwickelt zu werden.«
Die Botschaft, die Nowicki aus der Beobachtung von Tieren gewonnen hat: Kommunikation muss unter dem Strich ehrlich sein, sonst funktioniert sie auf Dauer nicht. Der Alarmruf des kleinen Sperlings oder der Grünen Meerkatze, die nicht genug Futter abbekommen und alle anderen mit ihrem Schrei auf die Bäume jagen, um selbst beim Fressen einmal zum Zuge zu kommen, wird irgendwann ohne Wirkung verhallen: Ihnen »glauben« die anderen Tiere dann nicht mehr.

Artikel vom 24.11.2006