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Rolex, Nikes und andere Kopien

Das Plagiat ehrt den Meister


Die 16-jährige Yvonne sitzt vor dem Fernsehapparat und schlägt die Hände über ihrem Kopf zusammen: »All die schönen Nikes!« Sie versteht nicht, warum im Hamburger Hafen containerweise nachgemachte Markenschuhe zerstört werden.
Yvonnes Vater könnte ihr die Sache vielleicht erklären. Doch er ist unterwegs auf Dienstreise, in China. Yvonnes Vater arbeitet für einen Autozulieferer. Gerade diskutiert er mit einem chinesischen Unternehmer über die Möglichkeit, einen Teil der Produktion aus Deutschland nach Fernost zu verlagern. »Ob meine Mitarbeiter die Technik beherrschen?« wiederholt dieser lächelnd eine Frage. »Aber klar!« Yvonnes Vater will nicht glauben, was er dann zu sehen bekommt: haargenau die gleichen Zulieferteile, wie er sie in seiner Tasche mit sich führt. Nicht mal das Firmenlogo fehlt.
Wer in Fernost etwas nachbaut, ehrt mit seinem Geschick den Erfinder. Dass er diesen damit um den gerechten Lohn für seine schweißtreibende Erfindung bringt, ist dem Plagiateur vielleicht gar nicht klar. Jedenfalls ist es ihm gleichgültig.
Doch nicht nur in China mangelt es an Schuldbewusstsein - auch im Westen. Nicht nur wird hier ebenso abgekupfert. Schlimmer noch: Freudestrahlend zeigen gut verdienende Reisende ihre neueste Rolex-Uhr, die sie in Hongkong oder Dubai für einen Bruchteil des hiesigen Preises erworben haben. Okay, sie ist nicht ganz echt. Aber wer sieht das schon? Bernhard Hertlein

Artikel vom 23.11.2006