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»Killer-Spiele« im Visier

Nach Amoklauf Verbot gefordert - Forscher: Zensur wirkungslos

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Nach dem Amoklauf an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten (Kreis Steinfurt) wollen Bayern und Niedersachsen gewaltverherrlichende Computerspiele verbieten lassen.
Edmund Stoiber: »Killerspiele gehören verboten.«
Edmund Stoiber (CSU) und Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kündigten gestern eine Initiative im Bundesrat an. Der Jugendschutz müsse »deutlich verbessert werden«, die Kontrollen der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) seien »offenbar zu lax«, sagte Schünemann. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber betonte: »Killerspiele gehören in Deutschland verboten.«
Am Montag hatte Amokläufer Bastian B. (18) »aus Rache« seine frühere Schule überfallen und 37 Menschen verletzt. Anschließend schoss sich der Täter in den Kopf. Der Einzelgänger galt als Waffennarr, der regelmäßig Gewaltspiele wie »Counter-Strike«, »Half Life« und »Doom« spielte.
Erziehungswissenschaftler halten ein Verbot für überflüssig und wirkungslos. »Alle Studien zeigen, dass Computerspiele nicht gewalttätig machen«, sagte das Vorstandsmitglied des Zentrums für Kindheits- und Jugendforschung der Universität Bielefeld, Christian Palentien. Das Gewaltpotenzial sei schon vorher in den Männern angelegt. Auch praktisch laufe im Internet-Zeitalter ein Verbot ins Leere. Palentien: »Es würden Tauschbörsen entstehen und die Spiele weiter verbreitet.« Zudem gehen Experten davon aus, dass das grundgesetzliche Zensurverbot auch für PC-Spiele gilt.
Tanja Witting von der Fachhochschule Köln, in der die »Wirkung virtueller Welten« erforscht wird, erklärte: »In Emsdetten ist es nicht zum Amoklauf gekommen, weil es der Mann im Spiel gelernt hat, sondern weil er es so wollte.«
Die Prüfer der USK stuften 2005 fast 60 Prozent der 2686 eingereichten Spiele als für Kinder unter zwölf Jahren geeignet ein. 40 Titel wurden als unvereinbar mit dem Jugendschutzgesetz bewertet.
Nach Meinung von Psychologen gibt es an Deutschlands Schulen mehr potenzielle Amokläufer als die Öffentlichkeit wahrhaben will. Vor allem aber gebe es viele Ausgegrenzte und Jugendliche, die sich als Verlierer begriffen, sagte gestern eine Sprecherin des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen. Einer Studie zufolge gebe es in jeder deutschen Schulklasse zwei Mobbingopfer. Es handelt sich nach den Worten der Vorsitzenden der Sektion Schulpsychologie, Elfriede Mittag, »um seelisch Verletzte, deren Wunden immer wieder aufgerissen werden - durch Zurückweisungen und Abwertungen, die sie zu Hause oder in der Schule erleben«.
Seite 4: Leitartikel/Seite Nordrhein-Westfalen

Artikel vom 22.11.2006