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Gerd Kranzmann, Leiter des Helmholtz-Gymnasiums Astrid Weyermüller vom Kirchenkreis Bielefeld

»Alle Schulen brauchen Beratungskonzept«

Reaktion auf den Amoklauf in Emsdetten - »Gefährdungspotenzial auch in Bielefeld«

Von Hendrik Uffmann
Bielefeld (WB). Der Amoklauf eines 18-Jährigen an einer Schule in Emsdetten am Montag ist auch an den Bielefelder Schulen nicht spurlos vorüber gegangen. Gestern führten Lehrer und Schüler Gespräche über die Tat, bei der 37 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden und der Täter sich anschließend selbst das Leben nahm.

»Auch bei uns wird heute mit Sicherheit im Unterricht über das Geschehen gesprochen«, sagte gestern Dr. Peter Kammann, Leiter der Martin-Niemöller-Gesamtschule in Schildesche. Dennoch habe die Tat in Emsdetten bei den Schülern und Lehrern der Gesamtschule zu keiner ausdrücklichen Besorgnis geführt. »Ich glaube dass wir ein Schulkonzept haben, das eine ungenügende Rücksichtnahme auf die Persönlichkeit eines jungen Menschen weniger wahrscheinlich macht«, erklärte Kammann. Gerade der ganztägige Unterricht an der Gesamtschule führe dazu, dass es ein gutes und persönliches Verhältnis der Lehrer zu den Schülern gebe.
Auch am Helmholtz-Gymnasium war der Amoklauf gestern Thema während des Unterrichts. »Was den Vorfall so erschreckend macht ist ja, dass es offensichtlich einen langen Vorlauf gab und trotzdem niemand etwas von der Situation des Schülers gemerkt hat«, sagte Schulleiter Gerd Kranzmann. Dabei sei jedoch auch die Frage, wer einschreiten könne, wenn es Hinweise auf eine Verzweiflungssituation gebe. Kranzmann: »Da gibt es ein Dreieck zwischen Familie, Schule und Polizei.«
Überzeugt zeigte sich Kranzmann, dass es auch in Bielefeld ein Gefährdungspotenzial gebe. Er selbst habe einen Fall eines auffälligen Schülers erlebt von dem die Ärzte später gesagt hätten, er sei »eine tickende Zeitbombe.« »Ich würde allen Schulen dringend raten, ein Beratungskonzept aufzubauen«, so der Rektor. Am Helmholtz-Gymnasium gebe es eine psychologische Beratung von speziell ausgebildeten Lehrern, für die auch ein gesonderte Raum zur Verfügung stehe. »Wir brauchen jedoch auch Sensoren in der Schülerschaft die merken, wenn jemand abdriftet. Darüber zu sprechen hat nichts mit Petzen zu tun.« Neben der Prävention müssten Schulen aber auch einen Plan in der Schublade haben, wie man in einem Notfall reagiert.
Genau zu diesem Thema hat der Evangelische Kirchenkreis in Bielefeld erst im September eine Fortbildung unter dem Titel »Notfall in der Schule« veranstaltet. 120 Bielefelder Lehrer aller Schulformen nahmen daran teil. »Wir haben gemerkt, dass ein Bedarf vorhanden war«, erklärt Astrid Weyermüller vom Kirchenkreis. Themen der unterschiedlichen Workshops waren unter anderem »Ist Schulalltag trotz Doppelmord möglich?« und »Der Krisenfall ist da. Vorbereitet?«. Denn in vielen Fällen, so Astrid Weyermüller, gehen es darum, wie sich eine Schule auf Ausnahmesituationen vorbereiten könne. »Dann hilft es schon wenn festgelegt ist, wer welche Aufgabe übernimmt oder wer wen informieren muss.« Die Tagung sei ein erster Einstieg in das Thema gewesen, weitere Fortbildungen sollen im kommenden Jahr folgen.
Bleibt zu hoffen, dass Schuldezernent Dr. Albrecht Pohle recht behält, der bei der Veranstaltung sagte: »Wir müssen gut gerüstet sein für Notfälle, die dann hoffentlich nie eintreten - wenn sie erst da sind, ist es für lange Überlegungen zu spät.«

Artikel vom 22.11.2006