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Ex-Pfleger Stephan L. kurz vor der Urteilsverkündung. Foto: dpa

Lebenslang für
»Todespfleger«

28 betagte Menschen umgebracht

Kempten (dpa). Im bisher größten Fall von Serientötungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat das Landgericht Kempten einen ehemaligen Krankenpfleger gestern zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann 28 meist hochbetagte und zum Teil schwer kranke Patienten im Krankenhaus von Sonthofen mit einem Medikamenten-Mix zu Tode gespritzt hat. »Mit einem Angriff auf sein Leben rechnete keiner der Patienten«, sagte der Vorsitzende Richter Harry Rechner bei der Urteilsbegründung. Der 28-Jährige nahm das Urteil äußerlich regungslos auf. Einer seiner Anwälte, der Bielefelder Dr. Knut Recksiek, kündigte gegen das Urteil Revision an.
Im Einzelnen gingen die Richter in zwölf Fällen von Mord, in 15 Fällen von Totschlag sowie in einem Fall von Tötung auf Verlangen aus. In einem weiteren Fall sprach das Gericht den Mann wegen versuchter Tötung schuldig. Das Gericht sah zudem eine besondere Schwere der Schuld als erwiesen an. Das bedeutet, dass der ehemalige Krankenpfleger auch bei guter Führung nicht vorzeitig nach 15 Jahren aus der Haft entlassen werden kann.
Der Verurteilte habe die Patienten als »Objekt für seine Auffassung von aktiver Sterbehilfe« benutzt, sagte der Vorsitzende Richter. In einigen Fällen sei ein »erschreckender Mangel an mitmenschlicher Anteilnahme« offenbar geworden. Er hielt dem Beschuldigten vor, aktive Sterbehilfe als »Mord« ausgeübt zu haben. Bei zwei Patienten habe er bewusst gegen deren Lebenswillen gehandelt.
Das von der Verteidigung angeführte Mitleidsmotiv ließ das Gericht in zehn Fällen überhaupt nicht gelten, in 17 Tötungsfällen sei Mitleid möglich gewesen, in zwei Fällen davon wahrscheinlich. Allerdings habe es sich in dem meisten Fällen um »oberflächliches Mitleid« gehandelt. Der Verurteilte habe sich nicht mit der Krankengeschichte seiner Opfer intensiv auseinander gesetzt, sondern aus »narzißtischer Ichbezogenheit« eigenmächtig gehandelt. Er sei mit der belastenden Situation angesichts des Leidens nicht zurecht gekommen und habe deshalb getötet.
Die Deutsche Hospiz Stiftung forderte als Konsequenz aus dem Fall eine bundesweit einheitliche Pflicht amtsärztlicher Leichenschauen in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Den bislang unterschiedlichen Länderregelungen müsse entgegengewirkt werden.

Artikel vom 21.11.2006