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Wort zum Buss- und Bettag

Heute von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


König David hatte seinen Offizier Uria in einer Schlacht umkommen lassen, um zu vertuschen, daß dessen Frau Bathseba von ihm ein uneheliches Kind erwartete. Die Sache blieb geheim, und nach angemessener Frist durfte Bathseba mit dem schon mehrfach verheiraten David Hochzeit feiern. Denn die Monogamie war damals noch nicht die Regel. Inwieweit David und Bathseba selbst die Angelegenheit aber für ausgestanden hielten, lässt die Bibel offen. Allerdings geht sie davon aus, dass sich unbereinigte Schuld nicht von selbst erledigt.
Eines Tages erscheint der Prophet Nathan (2. Sam. 12) und erzählt dem König von einem Armen und von einem Reichen: Der Arme besaß nichts als ein einziges Schaf. Das hielt er wie eine Tochter. Es durfte von seinem Brot abbeißen, aus seinem Becher trinken und in seinem Schoß ruhen. Der Reiche dagegen verfügte über Schaf- und Rinderherden. Als er jedoch einmal Besuch bekam, bereitete er nicht etwa aus seinem eigenen Viehbestand ein Gastmahl zu, sondern vergriff sich an dem Tier des armen Mannes. Als David das hörte, ergrimmte er und sprach: »Der Mann ist ein Kind des Todes.« Darauf Nathan: »Du bist der Mann!«
Man hat immer wieder das Geschick bewundert, mit dem der Prophet den König dazu bringt, sein eigenes Urteil zu sprechen. Verwunderlicher aber ist es, dass David, ein gewiefter Taktiker, nicht auf Anhieb durchschaut, was für ein Spiel diese rührselige Erzählung mit ihm selbst spielen soll. Etwas verfremdet, begegnet er doch seiner eigenen unrühmlichen Rolle.
Der angebliche Kriminalfall von dem skrupellosen Reichen ist randvoll mit Anspielungen darauf. Das hebräische Wort für Tochter, »bath«, lässt absichtlich an Bathseba anklingen. Und das sentimentale Gehabe um das Schaf wird doch erst dadurch verständlich, daß Urias Liebe zu seiner Frau durchschimmert. David indessen merkt nichts und geht Nathan in die Falle, indem er völlig überzogen reagiert und über die erfundene Figur des Reichen das Todesurteil verhängt, ohne Augenmaß und ohne Blick für die Verhältnismäßigkeit.
So indessen gibt sich jemand, der seine eigene Schuld verdrängt hat. Das weiß Nathan und setzt es als Methode seiner Menschenkenntnis und -führung gekonnt ein. Das Maß der moralischen Entrüstung nimmt mit der Problematik der eigenen Person zu. Der Balken im eigenen Auge, von dem Jesus spricht, wirkt wie ein Vergrößerungsglas, das den Splitter im Auge des anderen riesengroß erscheinen lässt. Man kann auch sagen: Unbereinigte, verdrängte, verleugnete Schuld macht schizophren, spaltet das Bewusstsein. David, der den Kredit des Richters verspielt hat, gibt sich als Wahrer des Rechts und als Anwalt der Unterdrückten. Doch gerade in dem Moment, in dem er so unerbittlich gegen jene erfundene Gestalt wütet, hat der Prophet ihn da, wo er ihn haben will. Er kann ihn stellen, und David stellt sich.
Auf den ersten Blick mag es vielleicht nicht einleuchten, dass David, der alles getan hat, sein Verbrechen zu vertuschen, jetzt nicht in Ausreden flieht oder gar versucht, den Propheten - wie zuvor Uria - mundtot zu machen. Vielmehr tut er Buße und bekennt seine Schuld: »Ich habe gesündigt.« Denn im Grunde seines Herzens mag David auf diese Stunde der Wahrheit gewartet haben, um von der Lebenslüge frei zu werden. In einer Lebenslüge nämlich kann man nur scheinbar leben.
Glatte Lösungen gibt es vielleicht in den Sagen der Völker und im Krimi, nicht aber im Leben und auch nicht in der Bibel. Der Schuldige wird nicht nur verurteilt oder gar vernichtet, damit die Welt wieder sauber ist. Er wird vielmehr freigesprochen; doch er kommt nicht einfach ungeschoren davon. Im Falle Davids heißt das: Er selbst zwar muss mit seinem Leben für seine Schuld nicht bezahlen; aber das Kind, welches Bathseba erwartet, muss sterben, und Gott allein weiß, warum. Aber Gott macht auch neue Anfänge möglich; denn David und Bathseba bekommen später einen Sohn geschenkt, von dem noch die Rede sein wird: Salomo, Davids Nachfolger. Von diesem gilt, dass er weise zu urteilen vermag, und das dürfte mehr als nur Zufall sein.

Artikel vom 22.11.2006