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»Erlebnis für alle statt zehn Minuten Horror«

Casting - der ungewöhnliche Weg zum Hermannslauf

Von Hans Peter Tipp
Bielefeld (WB). Der Weg ist das Ziel: Bei keinem anderen Wettbewerb in der Region gilt das mehr als beim Hermannslauf, dem ostwestfälischten aller Volksläufe. Am Wochenende wurden in Bielefeld erstmals drei Startplätze auf ungewöhnlichem Weg vergeben - bei einem öffentlichen Casting.

»Wörtlich übersetzt heißt das ja Rollenbesetzung«, erzählt Martina Diekmann (41) im Rütli-Hotel, wo die Auswahl über die Bühne geht. Die Hobbyläuferin aus Bielefeld hat die wenig überzeugender Vorbilder verschiedener Fernsehshows im Hinterkopf. Aber zusammen mit Silke Paatsch (41) hat sie alle Bedenken beiseite geräumt. »Wir fahren da einfach hin und deine Familie nimmt dich hinterher auch wieder. Was kann denn schon passieren?«, war dazu jedoch ein kleines Machtwort der Freundin erforderlich.
Aber niemand muss bei diesem Casting eine Rolle spielen. Ganz im Gegenteil: Je mehr die Teilnehmer sich selbst treu bleiben, umso besser, findet Ralf Hetkamp von der Agentur »Creative«, die die Idee für den active-Sportshop umsetzt. Das Ziel beschreibt er so: »Wir wollen den 74, die nicht genommen werden, ein tolles Wochenende bieten mit vielen Informationen und nicht zehn Minuten Horror.« Und deshalb sind die zwei Tage vollgepackt mit Lauf-Informationen von Experten wie dem Orthopäden Jens Brüntrup vom Städtischen Krankenhaus in Bielefeld und Udo Brandt-Hüdepohl, Trainer der Hermannslaufsiegerin Kirsten Heckmann von der SV Brackwede. Auch der Hermannslauf-Veranstalter TSVE 1890 Bielefeld macht mit. Horst Szuba berichtet über den Lauf. Die ungewöhnliche Auswahl-Idee findet er gut: »Das kann dem Hermannslauf nur dienlich sein.«
Die entscheidende Casting-Runde dauert 20 Minuten. Glücklicherweise sitzt tatsächlich kein »Bohlen« in der Jury, sondern mit Cora Wende, Robert Pirmajer und Tille Heuing ein fachlich kompetentes Gremium, das angenehm freundlich bei der Sache bleibt. »Uns geht es darum, einen von den Teilnehmern ausgefüllten Fragebogen mit Leben zu vertiefen«, erklärt Cora Wende. Gesucht werden unter den 14 bis 65 Jahren alten Teilnehmern keine Stars oder Talente, sondern lebendige Läufertypen, die sich über professionelle Ausrüstung, maßgeschneiderte Trainingspläne und die persönliche Betreuung von Hermannslaufsieger Ingmar Lundström freuen dürfen. Und so bleibt die Atmosphäre entspannt. »Eher Caféhaus als Prüfung«, empfindet Silke Paatsch.
Die Fragen drehen sich ausschließlich ums Laufen, ums Trainieren, ums Vorankommen. Und immer wieder um den Lauf der Ostwestfalen. Warum soll es gerade der Hermannslauf sein, warum kein anderer? Und natürlich um den Läufer selbst. Seine Ziele, seine Pläne, seinen Antrieb.
Die Motivation teilzunehmen, ist völlig unterschiedlich. Martina Diekmann wünscht sich, im Training an die Hand genommen zu werden. »Ansonsten ist so schnell wieder ein Woche rum, und man hat doch nichts getan.« Silke Paatsch bezeichnet Laufen als beste Möglichkeit, den Berufsstress abzuschütteln. 40 bis 50 Kilometer kommen bei ihr pro Woche zusammen. Sie würde sich gern gezielt an die Herausforderung wagen. Zugesehen hat sie schon mehrfach: »Ich habe tierischen Respekt vor dem Hermann. Aber wenn ich an der Sparrenburg ankomme, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt.«
Für Bärbel Friedrichs (Marienmünster-Bredenborn), Birte Niederbrinkmann (Hildesheim) und Uwe Potthast (Extertal) hat sich das Seminar gelohnt. Ihr Hermannsweg hat am Sonntag begonnen. Drei weitere Novizen für die 36. Auflage am 29. April 2007 kommen am nächsten Wochenende hinzu. Für alle anderen beginnt die Anmeldefrist am 6. Dezember.

Artikel vom 21.11.2006