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Ex-Chef des Aquawede steht vor Freispruch

Gericht im Hallenbad: Zweifel an Schuld

Von Uwe Koch
und Markus Poch (Foto)
Bielefeld (WB). Der wegen Vergewaltigung angeklagte Schwimmmeister Björn S. (Name geändert) darf vor dem Landgericht auf einen Freispruch hoffen. Das ist die Prozeß-Bilanz nach dem 9. Verhandlungstag, der Freitag nicht nur im Gerichtssaal stattfand: Die 10. Strafkammer tagte im Brackweder »Aquawede«.

Der Verfahrenstross musste sich zu Beginn des Ortstermins einer ungewöhnlichen Prozedur unterziehen: Kammervorsitzende Jutta Albert wie Staatsanwältin Nina-Carolin Sommerfeld und Verteidiger Dr. Uwe Nagel streiften sich blaue Kunststoff-Überzieher über ihre Straßenschuhe, denn ihr Weg führte auch in die Sauna, ins Solarium und durch die Schwimmhalle. Zudem besichtigte die Kammer Versorgungs- und Sozialräume des Brackweder Hallenbades, das von August 2000 bis zum Januar 2004 Tatort der insgesamt 15 sexuellen Übergriffe des damaligen »Aquawede«-Betriebsleiters gewesen sein soll.
Als mutmaßliche Opfer hatten zwei weibliche Angestellte des Spaßbades ausgesagt, Björn S. habe sie insgesamt zwölfmal zum Beischlaf gezwungen, darüber hinaus habe der 42-Jährige sie unsittlich berührt oder zu weiteren Handlungen gezwungen (sexuelle Nötigung). S. hatte die Vorwürfe stets vehement bestritten.
Im Februar 2004 war S. fristlos wegen anderer dienstlicher Verfehlungen gekündigt worden. Die Vorwürfe der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung wurden erst später erhoben. S. befand sich danach acht Monate lang in psychiatrischer Behandlung, während der er auch einen Versuch der Selbsttötung beging. Das Arbeitsverhältnis mit der Bädergesellschaft BBF wurde zum 30. September 2004 einvernehmlich beendet.
Für alle Prozessbeteiligten war der gestrige Ortstermin eine Möglichkeit, die belastenden Aussagen der beiden Opfer zu überprüfen. Jutta Albert resümierte indes später, »vernünftige Zweifel an der Schuld des Angeklagten« seien »nicht zu beseitigen«. Selbst wenn das Gericht davon ausgehe, dass Björn S. »nicht ganz unschuldig« sei. Dabei betonten die Richter noch einmal deutlich, die Kammer sei besonders von der Aussage der heute 24-jährigen Nicole V. (Name geändert) »sehr bewegt« worden. Die BBF-Angestellte leidet massiv unter den Vorfällen, sie ist seit November 2005 krank geschrieben und befindet sich seither in psychiatrischer Behandlung. Ihr Rechtsanwalt Ralf Lindrath erklärte denn auch am Freitag, er halte »die vorläufige Beurteilung des Gerichts für unbefriedigend«. Der Prozess wird nun 27. November fortgesetzt.

Artikel vom 18.11.2006