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Zeit für Hörabenteuer
und andere Schmankerl

Freitags-/Sonntagskonzerte der Philharmoniker


Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Wie klingt Zeit und kann man sie überhaupt hören? Mögliche Anworten auf die Frage haben die Bielefelder Philharmoniker bei ihren jüngsten Freitags- und Sonntagskonzerten gegeben, die unter dem Thema »Die Zeit - ein sonderbar Ding« unterschiedliche Aspekte der Zeit in der Musik beleuchteten.
Generalmusikdirektor Peter Kuhn bemühte dazu zwei Epochen, die unterschiedlicher kaum hätten sein könnten: Die Wiener Klassik und die Moderne, vertreten durch den in diesem Sommer verstorbenen Komponisten György Ligeti. Dessen »Poème symphonique«, komponiert für 100 Metronome, rief zusätzlich zum Stammpublikum noch eine handvoll Anhänger der Neuen Musik auf den Plan. Wann besteht schon mal die Gelegenheit, ein Werk zu erleben, das allein durch seinen logistischen Aufwand schwer zu realisieren ist!
Vor verschlossenen Türen wartete das geneigte Publikum, bis sämtliche, auf der Bühne der Oetkerhalle platzierten Metronome aufgezogen waren. Als es nach geräuschvoller Platzeinnahme im Saal langsam ruhiger wurde, erinnerte ihr scheinbar gleichmäßiges Ticken an das Prasseln des Regens. War die polyrhythmische Struktur, die sich aus der unterschiedlichen Tempoeinstellung der Metronome ergab, zunächst nicht differenzierbar, so wich die Verwischung durch den allmählichen Ausfall einzelner Metronome einer hörbaren rhythmischen Diskontinuität. Wer sich in konzentrierter Muße auf das »Spiel« einließ, erlebte zum einen die hypnotisierend-soghafte Wirkung des Stücks, zum anderen die akustische Materialisierung und Dematerialisierung von Zeit im Raum. Kein Reißer, aber ein interessantes Hörabenteuer und ein - wenn man so will -Êvorherbestimmtes Decrescendo dazu.
Ob es klug war, mit verhalten-melancholischen Arien fortzufahren, sei dahingestellt. In jedem Fall aber konnten sowohl Melanie Kreuter (lyrisch innig bis strahlend furios) mit Mozarts Abschiedsarrie »Bella mia fianmma, addio! - Resta, oh cara« als auch Kaja Plessing (warm und facettenreich) mit Hadyns »Arianna a naxos« reüssieren, gefolgt von Bariton Alexander Marco-Buhrmester, der in Mozarts Brillier-Arie »Rivolgete a lui io sguardo« stimmliche Noblesse und nuancenreiches Draufgängertum vereinte.
Haydns Symphonie Nr. 101 verdankt ihren Beinamen »Die Uhr« dem durchlaufenden Ticken der Fagotte und gezupften Streicher des zweiten Satzes -Ê Sinnbild für einen gegliederten Zeitablauf. Peter Kuhn unterzog den Viersätzer einer in allen muskalischen Parametern detailreichen Durchleuchtung und befeuerte das philharmonische Orchester zu einer einnehmend transparenten und kontrastscharfen Wiedergabe, die mit stürmischem Beifall honoriert wurde.

Artikel vom 20.11.2006