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Nur ein »Mangelhaft« für die Große Koalition

Heute im Gespräch: IHK-Ehrenpräsident Fritz-Wilhelm Pahl -ÊPolitiker schaffen es nicht, zu führen und zu fordern

Delbrück (WB). Die Senkung der Staatsquote darf nicht daran scheitern, dass die Steuerquellen unerwartet neues Geld in die Staatskasse sprudeln. Weil die Große Koalition dieses Themenfeld nicht mit allem Ernst angeht, bekommt sie vom Ehrenpräsidenten der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen, Fritz-Wilhelm Pahl, die Note 5. Mit dem Delbrücker Unternehmer, der am Montag seinen 65. Geburtstag feiert, sprach am Freitag Bernhard Hertlein.
Fritz-Wilhelm Pahl in der Ausstellung seiner Firma Bette in Delbrück. Der Ehrenpräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwestfalen feiert am Montag seinen 65. Geburtstag. Foto: Stefan Hörttrich
Die Unternehmen in Ostwestfalen haben die Arbeit der Großen Koalition in der zurückliegenden Woche mit 4,4 bewertet. Welche Note geben Sie?Pahl: Mangelhaft -Êalso eine glatte 5.

Das heißt: nicht versetzt. Warum?Pahl: Die Große Koalition schafft es nicht, zu führen und zu fordern. Beides ist für Deutschland dringend erforderlich. Die Menschen brauchen Richtung und Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Politik.

Aber die Konjunktur läuft doch gerade gut. . .Pahl: Sie läuft gut trotz der schlechten Politik. Die Menschen fassen wieder Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft.

Was läuft denn konkret so schlecht?Pahl: Es fehlt die Klarheit, wie die Politik die Zukunft gestalten will. Vor allem fehlen Antworten auf die schon lange bekannte Herausforderung durch die demographische Entwicklung.

Die Rente mit 67 genügt nicht?Pahl: Das vorgezogene Rentenalter entlastet die Sozialkasse nur wenig. Wichtiger wäre es, die Eigenvorsorge der Bürger fürs Alter anzukurbeln. Dazu müssen die Menschen aber die Möglichkeit haben, Geld zurückzulegen.

    Wer hindert sie daran?Pahl: Die hohe Staatsquote. Sie ist auch die Ursache für unsere große Arbeitslosigkeit. Die Politiker freuen sich derzeit über die unerwartet hohen Steuermehreinnahmen. Sie könnten diese Freude ganz leicht an die Bevölkerung weitergeben, in dem sie ihre Ausgaben senken. Aber das geschieht viel zu wenig. Wir brauchen eine neue Diskussion darüber, was der Staat zu leisten hat, was er leisten kann und wie viel Staat wir uns noch leisten können. Alle Leistungen unseres Sozialstaates müssen auf den Prüfstand.

Erwarten Sie, dass die Mehrwertsteuererhöhung den derzeitigen konjunkturellen Aufschwung wieder abwürgt?Pahl: Nein. Die Ankündigung, dass die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 um drei Prozentpunkte angehoben wird, hat zumindest in unserer Branche zu keinem Vorzieheffekt geführt. Deshalb gehe ich auch nicht davon aus, dass es im ersten Quartal 2007 zu einem großen Einbruch führen wird. Ich denke, der Aufschwung wird sich nach einer kurzen Delle fortsetzen. Das gilt auch für teurere Konsumartikel wie etwa Fernsehgeräte und Automobile, wo die Delle nur etwas größer sein wird. Aus Sicht der Unternehmer bedaure ich, was die Verbraucher freuen wird: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird keineswegs in vollem Umfang auf die Preise durchschlagen.

Hat die Mehrwertsteuererhöhung auch Folgen für Bette?Pahl: Oberflächlich gesehen nicht, weil die Steuer erst bei unseren Kunden, den Handwerkern, fällig wird. Von dort kommt aber ein solcher Druck, dass wir unsere eigenen Kostensteigerungen niemals im vollen Umfang über die Preise weitergeben können. Da wir trotz aller Investitionen die Produktivität nicht in gleicher Weise steigern können, drückt dies auf die Gewinnmarge.

Wenn denn trotz Politik und schlechter Rahmenbedingungen die Baukonjunktur gut läuft, stellen Sie dann auch Leute ein?Pahl: Ja. Und wir würden noch mehr Personal einstellen, wenn wir genügend ausreichend motivierte und hinreichend qualifizierte Fachkräften fänden. Dass uns dies nicht gelingt, hat auch eine positive Seite: Bette bildet derzeit verstärkt aus, auch im gewerblichen Bereich.

Artikel vom 18.11.2006