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Aus der Provinz »nach
Berlin, nach Berlin!«

Die schrulligen Typen aus der »Pension Schöller«

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Es ist eine Posse, Klamauk, ein Schwank. Dass »Pension Schöller« eine Enthüllungs-Komödie ist, die die Grenzen verwischt zwischen Normalität und Wahnsinn, das offenbart sich nach und nach - mit prustendem Gelächter.

Der »Schwank der Schwänke« - »Pension Schöller« unter der Regie von Alexander Hawemann - erlebte im Bielefelder Theater am Alten Markt (TAM) eine umjubelte Premiere. Den Jubel verdienten an erster Stelle die glänzend aufgelegten Schauspieler. Jede Rolle, auf ihre Art exzentrisch, spleenig, preußisch, schrullig, machen die Darsteller zu Kabinettstückchen. Da ist vor allem Thomas Wolff als Gutsbesitzer Phillipp Klapproth aus Kyritz an der Knatter, also aus Deutschlands tiefster Provinz, der endlich mal was erleben will. Als Landei lässt er sich von seinem vermeintlich weltgewandten Neffen Alfred (Oliver Baierl als mittelloser Hasardeur) in der Großstadt gern hinters Licht führen: »Det is' Berlin!« Thomas Wolff gibt alles, löst mit seinem Besuch auf der Soiree in der Irrenanstalt, in Wirklichkeit eben die Pension Schöller, das schiere Chaos aus. Er begibt sich in Gefahr - und kommt zwar nicht darin um, weiß aber letztendlich nicht mehr, wer denn nun verrückt ist - er oder die anderen, die ihn auf seinem Gut sitzen lassen und nur noch ein Ziel kennen: »Nach Berlin, nach Berlin!« Klapproth hat die Kontrolle über seine fest gefügte Welt verloren, alles ist durcheinander, aus den Fugen geraten, eben »irre« geworden. Darunter leidet auch von Gröbern, Major a.D. (Alexander Swoboda), den man auf keinen Fall auf seine vorzeitige Pensionierung, seine gescheiterte Ehe und die Juristen ansprechen darf. Darunter leidet auch Schöller (Stefan Imholz), Inhaber der Pension, der gern Töchterchen Franziska (Ulrike Müller als rotzfreche Göre) an den Mann bringen will. Die, trotz emanzipatorischer Anwandlungen (sie trägt Hosen, welcher Fauxpas!), ist durchaus interessiert. Neffe Eugen, von John Wesley Zielmann wunderbar als angehenden Schauspieler gespielt, der an Stelle des »l« immer »n« sagen muss, strebt ebenso nach ewigem Ruhm wie die »Gartenlauben«-Schriftstellerin Josephine Zillertal (Christina Huckle) und Bernhardy (Andreas Hilscher), angeblich weltreisender Großwildjäger, der immerhin Klapproths häusliche Schwester Ida (Claudia Mau) erlegt und es somit vermeiden kann, sich echten Löwen zum Fraß vorzuwerfen.
In rotem Samt, Stuck, Kronleuchtern und beim Wechsel in die Provinz mit Gartenzwergen als Gesellschaft (Ausstatterin Lina-Antje Gühne) schaffen es die Schauspieler, die Klamotte, bei der jeder Gag punktgenau sitzt, so in sich zu brechen, dass sie kein bisschen angestaubt daher kommt.

Artikel vom 20.11.2006