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Blair: Lage im Irak ein »ziemliches Desaster«

Erneut etwa 60 Menschen Opfer der Gewalt

Bagdad (dpa). Bei zwei blutigen Anschlägen auf Zivilisten sind im Irak gestern mindestens 43 Menschen getötet worden. 19 weitere Menschen starben nach Angaben aus Sicherheitskreisen bei amerikanischen und irakischen Razzien gegen »Terroristen«.
Der britische Premierminister Tony Blair räumte unterdessen massive Schwierigkeiten beim Einsatz im Irak ein. In einem Interview mit dem Nachrichtensender Al-Dschasira International stimmte er der Einschätzung zu, dass der Einsatz bislang ein »ziemliches Desaster« gewesen sei. Der Grund dafür liege jedoch nicht in einer schlechten Planung, sondern in dem Verhalten von Aufständischen im Irak, die aus dem Ausland unterstützt würden.
Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hat den Glauben an einen militärischen Erfolg im Irak nach eigenen Worten verloren. Die Bildung einer irakischen Regierung, die den Bürgerkrieg unter Kontrolle bekommen könne, sei auf absehbare Zeit »nicht möglich«, sagte Kissinger gestern im britischen Sender BBC.
Zugleich warnte er jedoch vor einem raschen Abzug der britischen und amerikanischen Truppen aus dem Irak, weil dies für die gesamte Region auf Jahre hinaus »katastrophale Folgen« haben könnte. Kissinger regte er eine internationale Irakkonferenz mit den Nachbarstaaten und den UN- Vetomächten an.
Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Kriegsdilemma im Irak traf der frühere US-Außenminister James Baker einem Zeitungsbericht zufolge mit syrischen Vertretern zusammengetroffen. Der Vorsitzende einer US-Expertenkommission zur Irak-Politik habe sich mit dem syrischen Außenminister Walid al-Muallem beraten, meldete die »New York Times« unter Berufung auf Syriens Botschafter in den USA, Imad Moustapha. Baker habe dabei Bedingungen sondiert, unter denen Syrien bereit wäre, im Irak zu helfen. Al-Muallem wird demnächst zu seinem ersten Besuch seit der US-Invasion von 2003 in Bagdad erwartet.
Mualem ist unterdessen zu Gesprächen mit der irakischen Regierung in Bagdad eingetroffen. Mualems Besuch ist die erste Reise eines syrischen Ministers in das Nachbarland Irak seit dem Sturz Saddam Husseins. Ein Regierungssprecher sagte, ein stabiler Irak sei im Interesse Syriens.
Die neuerlichen Anschläge konzentrierten sich auf die Hauptstadt Bagdad. Doch auch in Hilla starben 23 Menschen, als sich ein Selbstmordattentäter inmitten von Bauarbeitern in die Luft sprengte. Die Männer haten auf einem Platz der in der vorwiegend von Schiiten bewohnten Stadt auf Arbeit gewartet. Nach Polizeiangaben wurden 44 weitere Menschen verletzt.
Auf einem Busbahnhof im Südosten von Bagdad explodierten gestern kurz hintereinander vier Autobomben. Nach Angaben von Augenzeugen und Polizisten starben mindestens 15 Menschen. 54 weitere Iraker seien bei dem Anschlag am Maschtal-Bahnhof verletzt worden, hieß es. Bei weiteren Attacken von Extremisten starben insgesamt fünf Menschen
Die Polizei in Basra dementierte unterdessen arabische Medienberichte, wonach die vier am Donnerstag im Südirak entführten Amerikaner befreit worden sein sollen. Die Polizei hatte am Freitag berichtet, die Leiche eines bei diesem Zwischenfall ebenfalls entführten österreichischen Mitarbeiters der selben Firma sei in der Wüste gefunden worden. Der Österreicher sei anhand seiner Papiere identifiziert worden.
Dänemark erwägt die Verlegung seiner etwa 500 im Südirak stationierten Soldaten nach Bagdad. Außenminister Per Stig Møller sagte, dies sei »ein ausgezeichneter Gedanke, den wir überlegen werden«. Kommentar

Artikel vom 20.11.2006