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Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs

Dr. Dr. Markus Jacobs ist Pfarrer in der katholischen Kirchengemeinde Heilig Geist.

Es ist ein alter Hit aus den siebziger Jahren. Sehr oft ist er nicht mehr im Radio zu hören, aber die Werbung hat ihn entdeckt und weiß ihn für ihre Zwecke zu nutzen: »Oh, wann kommst du?« Wenn das »Oh« zu Beginn erklingt, weiß jeder, der dieses Lied kennt, bereits Bescheid. Und dieses »Oh« dauert und dauert! Es ist lang gezogen, es wird länger und länger. Dabei ist es energiegeladen, es verliert nicht an Kraft. Zuerst ist es ein stehender Ton, dann kommt ein Schwingen in die Stimme, schließlich - so hat man als Hörer den Eindruck - wird von der Sängerin noch einmal nachgelegt: wie in zusätzlichen Schüben wird auf dem immer gleichen Ton und der unverändert gleichen einzigen Silbe »Oh« noch einmal neue Energie in die Stimme hineingelegt. Und dann folgt die Frage, für die all diese Energien aufgebracht wurden: »Wann kommst du?«
Die Christenheit hat ursprünglich mit einem ähnlichen Ruf begonnen. Er lautet »Maranatha: Unser Herr, komm!« Er bezieht sich auf die Wiederkunft Christi. Christus hat es versprochen, und Christen warten seit seiner Himmelfahrt darauf, dass er irgendwann wiederkommt.
Die Wiederkunft Christi ist heutzutage keines der Hauptthemen unter den Gläubigen. Wenn man unter Christen fragen würde, was sie erhoffen, würde wahrscheinlich nicht viele antworten: »dass Jesus kommt«. Dabei sind die gemeinschaftlichen Gebete der Christen voll von solchen Aussagen. Sie sind nur leider fast zu Formeln erstarrt. Beispielsweise werden katholische Christen, denen jemand vorspricht »Geheimnis des Glaubens«, ohne jedes Zögern antworten: »Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.« Dieses Bekenntnis gehört zu jeder Heiligen Messe hinzu. Aber wahrscheinlich ist der letzte Teil dieses Satzes eher so mitgesagt. Nicht viele warten vermutlich mit ständig neu gesteigerter Energie auf Jesu Rückkehr.
»Oh, wann kommst du?« Den Hit aus den Siebzigern sang damals Daliah Lavi. Eigentlich heißt diese Frau Daliah Lewinbuk und stammt aus der Nähe von Haifa. Sie ist Jüdin. Es wäre wirklich Spekulation, nun darüber nachzudenken, ob ihr jüdischer Glaube irgendeinen Einfluss auf dieses Lied oder ihre Art, es zu singen, gehabt hat. In jedem Fall aber ist es ein Liebeslied ganz bemerkenswerter Art. Es singt von einer liebevollen Erwartung. Kernaussage ist, dass diese Erwartung bleibt, wann auch immer der Erwartete kommen und wie auch immer er handeln wird.
Und bedenkenswert ist zumindest, dass nun ausgerechnet Juden tatsächlich eine solche Erwartung seit Jahrtausenden in Bezug auf Gott kennen. Juden erwarten bis heute den Messias. Christen hingegen sagen zwar, dass dieser Messias schon gekommen ist, denn Jesus war dieser Messias (auf griechisch: der »Christus«). Sie erwarten ihn aber dennoch neuerlich. Christen erwarten nämlich seine Wiederkunft. Und dies meint nicht einfach nur das persönliche Ende eines jeden Menschenlebens und das Vor-Gott-Treten eines jeden Menschen. Es meint tatsächlich auch die endgültige Wiederkehr Christi und das Ende aller Zeiten.
Für das tiefere Durchdenken dieser Dimension des Glaubens und die Auseinandersetzung mit ihr hat sich in der Christenheit das Ende des Kirchenjahres herausgebildet. Jetzt werden an den Sonntagen Schriftstellen vorgetragen, die vom Ende der Zeit und der Wiederkehr Christi handeln. Die Erwartung der Christen ist vermutlich bei vielen nicht so energiegeladen, wie der Ruf »oh, wann kommst du?« einer Daliah Lavi. Paulus dagegen ließ noch seinen ersten Brief an die Korinther mit dem Ruf »Unser Herr, komm!« enden, und mit den gleichen Worten schließt auch das allerletzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes. Diese Erwartung schenkt ein großes Glücksgefühl. Frühe Christen haben wahrscheinlich sehr viele Vertonungen des Rufes »Maranatha« gekannt. Vermutlich waren sie sehnsuchtsvoll und kraftvoll zugleich. Die Frage bleibt also: Warte ich auf ihn?

Artikel vom 18.11.2006