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Freunde über den Tod hinaus

Bürger verhindern die anonyme Bestattung eines Verstorbenen

Von Christian Althoff
Steinhagen (WB). Um einem verstorbenen Hartz-IV-Empfänger aus Steinhagen (Kreis Gütersloh) die Einäscherung mit anschließender anonymer Bestattung zu ersparen, haben Bürger Geld gesammelt, ein Grab gekauft und Dirk R. in einem Sarg beerdigen lassen.

Der Steinhagener wurde 47 Jahre alt und ist bei seinen Freunden als fröhlicher, humorvoller, künstlerischer, aber auch nachdenklicher Mensch in Erinnerung geblieben. »Wir nannten ihn unseren Philosophen, weil er oft tiefgründige Gespräche mit uns geführt und über Kant und Nietzsche referiert hat. Zugegeben: Wir haben nicht immer alles verstanden«, erinnert sich eine Freundin schmunzelnd.
Noch mit 39 Jahren hatte Dirk R. Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaften studiert, anschließend aber keine Anstellung gefunden. Deshalb hielt er sich mit Zeitarbeitsverträgen über Wasser und jobbte in seinem ursprünglichen Beruf als Schlosser. »Obwohl Dirk alles unternahm, um Arbeit zu finden, war er zum Schluss auf Hartz IV angewiesen«, sagt ein Nachbar.
Der Tod des erst 47-Jährigen kam für seine Freunde überraschend: »Er hatte auf meinen Anrufbeantworter gesprochen, dass es ihm schlecht gehe und ich ihn ins Krankenhaus bringen solle«, erzählt eine Freundin. Doch jede Hilfe kam zu spät: Als Feuerwehrmänner die Wohnungstür aufbrachen, fanden sie Dirk R. tot - gestorben an einem Magendurchbruch, wie sich später herausstellte.
Weil sich zunächst keine Verwandten fanden, wollte das Ordnungsamt Dirk R. einäschern und seine Urne anonym auf dem Bielefelder Sennefriedhof beisetzen lassen, wie es in Fällen mittelloser Menschen üblich ist. »Frank hatte mir aber einmal gesagt, dass er auf keinen Fall verbrannt werden möchte«, erzählt ein Freund, zudem hätte ein anonymes Grab den Bekannten keine Möglichkeit gelassen, Dirk R.s letzte Ruhestätte aufzusuchen.
Bis spät in die Nacht saßen deshalb etwa 20 Menschen in der Küche einer Freundin zusammen, um einen Ausweg zu finden. »Wir haben eigentlich nichts gegen eine Einäscherung, aber da wir Dirks Ablehnung kannten, wollten wir seinen Wunsch respektieren. Allerdings haben uns die 3600 Euro für eine reguläre Beerdigung überfordert«, erinnert sich eine Frau. Der Versuch, vom Ordnungsamt wenigsten die Kosten des Sozialbegräbnisses (etwa 1300 Euro) als Zuschuss zu bekommen, scheiterte. Und der einzige Verwandte, der ein paar Tage später doch noch ausfindig gemacht werden konnte, wollte für die Bestattung nicht aufkommen. Deshalb veröffentlichte der Freundeskreis schließlich eine Todesanzeige, in der er um Spenden zur Begleichung der Bestattungskosten bat.
»Eine Rentnerin aus der Nachbarschaft gab zehn Euro, ein Spender sogar mehr als 500. Am meisten hat uns gefreut, dass sich zwei Menschen an den Kosten beteiligt haben, die Dirk überhaupt nicht gekannt haben«, erzählt eine Freundin. Zusammen mit den Zuwendungen des Freundeskreises kamen 2800 Euro zusammen, und Bestatter Hans Gehle stundete vorerst den restlichen Betrag. »Er ist uns wirklich sehr entgegengekommen«, sagt ein Freund des Verstorbenen dankbar.
Begleitet von einem Pfarrer nahm der Freundeskreis schließlich in der Kapelle des Steinhagener Waldfriedhofs Abschied von Dirk R. Drei Frauen hielten Traueransprachen und erzählten von dem positiven Einfluss, den Dirk R. auf ihr Leben gehabt hat. Zum Schluss hallte »Hey Joe« von Jimi Hendrix durch die Kapelle - das Lieblingslied des Verstorbenen, der selbst Bluesharmonika gespielt hat. Ein Freund: »Wir haben einen wertvollen Menschen verloren und sind froh, dass wir ihn zumindest in seinem Sinne bestatten konnten.«

Artikel vom 18.11.2006