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Mit tierischen Zellen
Therapeutika herstellen

Einstieg in Stammzellenforschung mit Prof. Thomas Noll

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Den Wirkstoff Epo kennt der Laie eigentlich nur als Dopingmittel der internationalen Radsportler-Szene. Tatsächlich wird er auch eingesetzt in der Therapie der Blutarmut und bei Nierenerkrankungen; immerhin zwölf bis 15 Millionen US-Dollar werden damit alljährlich umgesetzt. Wie Epo noch effizienter hergestellt werden kann, erforscht Prof. Dr. Thomas Noll, der an der Technischen Fakultät der Universität den Lehrstuhl für Zellkulturtechnik innehat.

Tatsächlich, betont der 37-Jährige, der vor einem Jahr vom Forschungszentrum Jülich an den Teutoburger Wald wechselte, ist Epo nur ein Modellwirkstoff, den er mit Hilfe tierischer Zellen in sogenannten Bioreaktoren - oder Fermentern - produziert. »Ich könnte den gleichen Zellen beibringen, statt Epo den Blutgerinnungsfaktor 8 herzustellen«, sagt Noll.
Die Zellen, die sich für Epo nützlich machen, stammen vom Hamster und vermehren sich unbegrenzt. Sie tragen das zusätzliche Gen für das Therapeutikum Epo. Andere tierische Zellen produzieren eben andere pharmazeutische Wirkstoffe oder auch Antikörper für die Diagnostik oder die Krebstherapie.
Die Arbeitsschritte sind dabei stets die gleichen: Die Zellen werden kultiviert, kommen in einen Bioreaktor, in dem sie mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden und produzieren einen »Zielstoff« wie Epo. Da dabei aber auch Stoffwechselprodukte anfallen und immer einmal Zellen absterben, muss am Ende die »Aufreinigung« stehen, um einen sauberen Wirkstoff zu haben. Das Interesse Nolls und seiner Arbeitsgruppe ist, die Produktionsprozesse, die so auch in der Industrie ablaufen, zu optimieren.
»Ein Ziel kann sein, am Ende weniger Begleitsubstanzen zu haben, damit die Aufreinigung leichter (und preiswerter) wird. Ein anderes kann sein, die Ausbeute an Wirkstoff zu steigern. Und ein drittes kann ebenso sein, die Wirksamkeit des Produktes zu erhöhen und einen Wirkstoff in besserer Qualität zu gewinnen. Für einen Patienten könnte das bedeuten, dass die therapeutische Dosis reduziert werden kann«, führt Noll aus.
An welcher »Stellschraube« man drehen muss, um diese Ziele zu erreichen, erforscht die Arbeitsgruppe von Noll. Dabei - und das ist neu - werfen die Wissenschaftler auch einen Blick in die Zellen: »Jedes Mal, wenn wir Prozessbedingungen verändert haben, entnehmen wir eine Probe und kontrollieren, ob und wie sich die Konzentration der verschiedenen Proteine verändert hat.« Daraus können die Wissenschaftler schließen, welche Gene »aktiver« waren und vermehrt abgelesen wurden.
Mit Noll, der 2000/01 am Londoner Krebsforschungsinstitut geforscht hat und in Jülich mit Nabelschnurblut gearbeitet hat, hat an der Universität auch die Stammzellenforschung Einzug gehalten. Menschliche embryonale Stammzellen sind für ihn tabu, Noll ist an einem Projekt mit adulten, also reifen Stammzellen beteiligt. »Ein Kollege in Witten/Herdecke hat Stammzellen aus dem Zahnhalteapparat isoliert und charakterisiert. Unsere Aufgabe ist es, ein Verfahren zu entwickeln, wie wir sie im Fermenter kultivieren können.«
Der Zahnhalteapparat, erklärt Noll, hält die Zähne nicht nur fest, sondern federt auch gegen den Druck beim Kauen ab. Wenn er weicht, leidet der Mensch an Parodontitis. Stammzellen könnten dann heilsam sein. »Und womöglich sind sie auch in anderen Bereichen therapeutisch einsetzbar.« Dazu aber muss es zunächst ein Verfahren geben, die isolierten Stammzellen zu vermehren. Einfach bewährte Prozesse zu übernehmen, reicht nicht: »Jeder Zelltyp reagiert anders.« Hat die Vermehrung geklappt, muss in Witten/Herdecke geprüft werden, ob die therapeutische Wirkung erhalten blieb.« In fünf, eher noch in zehn Jahren, kalkuliert Noll, könnte die Therapie mit adulten Stammzellen die herkömmliche Parodontosebehandlung ablösen. »Dann könnte der Zahnarzt an einer gesunden Stelle die Stammzellen entnehmen. In einem Speziallabor mit Reinräumen - vergleichbar denen, in denen jetzt schon Haut für Hauttransplantationen gezüchtet wird - werden sie vermehrt und dann vom Zahnarzt wieder injiziert.«
Noll möchte eine anwendungsorientierte Forschung. Und er erwartet, dass die Arbeit mit adulten Stammzellen noch viele Möglichkeiten eröffnet.

Artikel vom 17.11.2006