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»Nicht alles ist ein Märchen«

Nationalspieler überwinden ihre Enttäuschung über das 1:1 im Fluge

Nikosia/Frankfurt (dpa). Als die Sondermaschine LH 5011 zwölf Stunden nach dem Dämpfer von Nikosia in Frankfurt landete, war die Enttäuschung der Fußball-Nationalspieler an Bord schon verflogen.
In Windeseile entschwanden Michael Ballack und Kollegen in Richtung Heimatorte und waren sogar froh über drei Monate Auszeit vom Nationalteam. Vom ernüchternden 1:1 (1:1) in der EM-Qualifikation auf Zypern zum Abschluss des ansonsten berauschenden WM-Jahres blieb nicht nur für Kapitän Ballack die Erkenntnis, »dass nicht alles ein Fußball-Märchen ist und so weiter geht, wie man es gerne hätte«.
Schon bei der abendlichen Ansprache hatte Joachim Löw den Stolz über das 2006 Erreichte über den ersten kleinen Rückschlag in seiner Amtszeit gestellt und für 2007 weitere Fußball-Feste angekündigt. Theo Zwanziger sprach Worte des Dankes und des Trostes. »Die Nationalmannschaft hat enorme Verdienste für den Fußball und das Ansehen der Nation. Das wird auch nicht von diesem Spiel getrübt«, sagte der DFB-Präsident nach Mitternacht in der zyprischen Hauptstadt.
Der Bundestrainer ließ trotz des mit Abstand schwächsten Spiels unter seiner Regie auf der Mittelmeerinsel vorweihnachtliche Milde walten. Das Ende der fünf Partien währenden Siegesserie nahm Löw gelassen zur Kenntnis und stellte seiner Mannschaft ein hervorragendes Jahresabschlusszeugnis aus. »Was 2006 passiert ist, ist äußerst positiv zu bewerten«, sagte der 46-Jährige.
Gerade in der Entwicklung nach seiner Amtsübernahme im Sommer von Jürgen Klinsmann sieht Löw den WM-Dritten der europäischen Konkurrenz aus Italien, Frankreich, Portugal und England mittlerweile sogar enteilt. »Wir haben viele Spiele sehr gut und konstant gespielt, konstanter als jede andere Mannschaft.«
Unbeirrt will Löw trotz der kleinen Schramme auf der Rekordbilanz mit 14 Siegen, 2 Remis und nur 2 Niederlagen in 2006 seinen Weg Richtung EM 2008 weiter gehen. Das Unentschieden gab dem Chefcoach allerdings trotz der Übernahme der Tabellenführung in Gruppe D vor den mit zehn Zählern punktgleichen Tschechen einige Warnsignale. Die fehlenden Stammkräfte Jens Lehmann, Bernd Schneider und Lukas Podolski hinterließen doch größere Lücken als vermutet. »Natürlich hätten wir gerne Schneider, Podolski dabei gehabt, auch Metzelder oder Asamoah. Aber es wird immer so sein, dass Spieler ausfallen. Da sollte man keine Ausrede suchen«, sagte Löw.
Kapitän Ballack, einer der wenigen Aktivposten, wollte dem Remis sogar gute Seiten abgewinnen. »Vielleicht hat es auch etwas Positives, dass man wieder weiß, dass man weiter etwas für den Erfolg tun muss, dass nicht alles so weiter geht, wie man es gerne hätte«, sagte er nach seinem 35. Tor im 75. Länderspiel. Die Spieler fanden einfach keine Mittel. Löw schob dies hauptsächlich auf körperliche Defizite. »Ich habe gesehen, wie einige Spieler wirklich am Limit sind. Auch solche, die körperlich normalerweise viel zu bieten haben.« Teammanager Oliver Bierhoff wollte wie der Chefcoach die Situation nicht dramatisieren: »Der Trend geht weiter, wir stehen hervorragend in der Gruppe da.«
Im Spiel gegen Hauptkonkurrent Tschechien am 24. März in Prag wird neben Rechtsverteidiger Clemens Fritz aber auch WM-Torschützenkönig Miroslav Klose wegen der zweiten Gelben Karte fehlen und die Problemzone im Angriff wieder offenkundig. Außer Klose und Podolski hat Löw derzeit keinen erstklassigen Angreifer. Oliver Neuville und Mike Hanke konnten nicht den Nachweis erbringen, mehr als zweite Wahl zu sein.
Geklärt ist die Rollenverteilung im Tor. Lehmann-Ersatz Timo Hildebrand sah beim Gegentor durch Ioannis Okkas nicht gut aus und konnte auch sonst seinen Anspruch, die Nummer 1 sein zu wollen, nicht untermauern. Dennoch wurde er von Löw in Schutz genommen. »Ich würde sagen, dass Timo beim Tor überhaupt keine Schuld trifft.« Der VfB-Schlussmann meinte: »So einen Ball kann man halten, muss man aber nicht unbedingt halten.«

Artikel vom 17.11.2006