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Mord im Knast schockt Politiker

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen JVA-Beamte - Einzelzellen gefordert

Von Christian Althoff
Siegburg (WB). Entsetzt, geschockt und fassungslos - so haben gestern die Landtagsabgeordneten im NRW-Rechtsausschuss reagiert, als Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) detailliert über den Foltermord im Jugendgefängnis Siegburg informierte.

»Wir sind bestürzt«, sagte gestern Abend der CDU-Landtagsabgeordnete Wolfgang Schmitz aus Paderborn, Vize-Vorsitzender des Rechtsausschusses. Dass einem Menschen in der Obhut des Staates so etwas widerfahren könne, habe er nicht für möglich gehalten, erklärte der Rechtsanwalt.
Wie berichtet, hatten drei 17, 19 und 20 Jahre alte Häftlinge am vergangenen Samstag beschlossen, ihren 20-jährigen Zellengenossen zu töten, »um mal einen Menschen sterben zu sehen«, wie einer der Tatverdächtigen zugegeben hatte.
Um das Verbrechen wie einen Selbstmord aussehen zu lassen, hatten sie ihr Opfer zunächst gezwungen, zwei Abschiedsbriefe zu schreiben. Dann quälten sie den Kleinkriminellen, der sechs Monate wegen eines bewaffneten Diebstahls absitzen sollte, über Stunden. Oberstaatsanwalt Fred Apostel: »Das Opfer wurde geschlagen und gezwungen, den Inhalt einer Tube Zahnpasta zu essen.« Nachdem sich der Mann übergeben hatte, musste er Erbrochenes essen und Urin trinken. »Anschließend vergewaltigten die Täter den Häftling zweimal mit einem Gegenstand und verletzten ihn schwer«, erklärte der Oberstaatsanwalt. Dann zwangen die Peiniger den Mann, durchs Zellenfenster türkische Häftlinge zu beschimpfen. Diese reagierten mit der Aufforderung an die Zellengenossen, den Rufer zu verprügeln, was die dann auch taten. Zuletzt sollen die Täter über Stunden versucht haben, das Opfer aufzuhängen. Nachdem dabei drei Kabel gerissen waren, führte der vierte Versuch mit einem Bettlaken zum Tod des Häftlings.
Die Justizministerin hat gestern disziplinarische Vorermittlungen angeordnet, um das Verhalten der Vollzugsbeamten zu überprüfen. Auch die Staatsanwaltschaft Bonn hat gestern Ermittlungen gegen Beamte der JVA eingeleitet. Der Vorwurf könnte fahrlässige Tötung durch Unterlassen lauten. Denn das Opfer hatte noch einen Rufknopf gedrückt. Ein Beamter hatte sich aber mit der von den Tätern über die Sprechanlage gegebenen Erklärung zufriedengegeben, man sei versehentlich an den Knopf gekommen. Als sich später Häftlinge aus Nachbarzellen über Lärm beschwerten, hatte ein Beamter zwar die Zelle aufgesucht und den später Ermordeten im Bett gesehen, den angeblich Schlafenden aber nicht angesprochen.
Klaus Jäkel, Landesvorsitzender des »Bundes der Strafvollzugsbediensteten« (BSBD), wies gestern darauf hin, dass bereits die Vorgängerregierung damit begonnen habe, 300 Stellen im Vollzugsdienst abzubauen: »Und das, obwohl bundesweit die Zahl der wegen Gewaltdelikten einsitzenden Häftlinge zwischen 1995 und 2000 von 7900 auf 20 100 gestiegen ist.« Die Landesjustizministerin schloss gestern allerdings aus, dass eine höhere Personalstärke in der JVA den Mord verhindert hätte.
Friedhelm Sanker, Vize-BSBD-Vorsitzender in NRW und stellvertretender Leiter der Jugendstrafanstalt Herford, bezeichnete es als Problem, dass Gefangene an Wochenenden Langeweile hätten, »die dann im Extremfall zu so etwas führen kann.« So richtig es sei, Neuzugänge im Gefängnis wegen anfänglicher Selbstmordgefahr zunächst mit anderen zusammenzulegen, so kontraproduktiv seien Gemeinschaftszellen im weiteren Vollzug, sagte der Gewerkschaftsfunktionär. »Wir wollen die jungen Leute wieder auf den richtigen Weg bringen. Das gelingt aber nur, wenn die auf uns hören - und nicht auf ihre Zellengenossen.« Deshalb fordere der BSBD seit langem Einzelhafträume.
Der Abgeordnete Wolfgang Schmitz sagte, der Ausschuss erwarte in den nächsten Wochen einen detaillierten Bericht.

Artikel vom 17.11.2006