18.11.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Manche begeben sich selbst auf Spurensuche

Aufruf zum Volkstrauertag 2006 von Reinhard Führer

Bielefeld (WB). Der Volkstrauertag ist einer der stillen Feiertage, ein Tag des Innehaltens und der Einkehr. Lesen Sie den Aufruf des Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Reinhard Führer:
»Wir gedenken der Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft.
Dieser Tag stört unsere oberflächliche Geschäftigkeit, und schnell stellt sich die Frage, ob er noch in unsere Zeit passt. Brauchen wir diesen Gedenktag noch?
Der Zweite Weltkrieg liegt doch bereits mehr als 60 Jahre zurück. Wie viele Menschen können sich denn noch an diese Zeit erinnern? Wer hat denn noch die Toten gekannt, deren Verlust wir an diesem Tag beklagen?
Es gehört nicht viel dazu, nach einem Schlusstrich zu rufen. Doch das ist allzu leichtfertig. Auch zwei Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg haben nicht alle Gefallenen ein würdiges Grab und mehr als eine Million Schicksale sind immer noch nicht aufgeklärt. Töchter, Söhne, Ehefrauen oder Geschwister von Vermissten bemühen sich bis heute um Gewissheit über deren Verbleib.
Manche begeben sich selbst auf die Suche nach dem Grab oder nach den letzten Lebensstationen ihres Angehörigen, eines Menschen den sie kaum kannten, der ihnen jedoch ein Leben lang gefehlt hat. Sie nähern sich Schritt für Schritt seinen Spuren und schließen eine Lücke in ihrer Lebensgeschichte.
Trauer braucht einen Ort. Das ist einer der Gründe, warum der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge diesen Menschen hilft, mehr als 800 Friedhöfe in 45 Staaten angelegt hat und sie erhält. Der Volksbund lässt die Angehörigen mit ihrem Verlust nicht allein, er versucht, ihnen Gewissheit über das Schicksal ihrer Gefallenen zu geben und den kommenden Generationen die Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft aufzuzeigen.
Am Volkstrauertag bekennen wir uns zur Solidarität mit diesen Menschen und allen anderen, die um einen durch den Krieg umgekommenen Menschen trauern.
Wir bekennen uns auch zu den Toten, die der Krieg gefordert hat. Wir sind mit diesen Menschen verkettet. Ob wir sie gekannt haben oder nicht. Ob wir mit ihnen verwandt sind oder nicht. Die toten Soldaten und alle zivilen Opfer des Krieges sind Bestandteil der deutschen Geschichte und gehören zu unseren Wurzeln.
Das Schicksal der Kriegstoten mahnt uns, die aktuellen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme auf friedliche Weise zu lösen. Damit geben wir dem Sterben der Menschen, derer wir gedenken, einen zusätzlichen, versöhnlichen Sinn.
Die Erinnerung an das Leid der Kriege weckt die Sehnsucht nach Versöhnung und Frieden. Darin liegt neben dem Gedenken an die Toten die stets aktuelle Bedeutung des Volkstrauertages.
Wer über einen Soldatenfriedhof geht, der begreift, dass nichts wichtiger ist als das friedliche Zusammenleben der Menschen.«

Artikel vom 18.11.2006