17.11.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Piercing« gegen Parkinson?

Ins Ohr implantierte Titan-Stifte sollen Patientin geholfen haben

Von Christian Althoff
Bad Driburg (WB). Heilung oder Hokuspokus? Eine Frührentnerin aus Bad Driburg (Kreis Höxter), bei der Ärzte 1998 die als unheilbarr geltende Krankheit Parkinson festgestellt hatten, ist seit mehr als drei Jahren beschwerdefrei - ohne Medikamente. 60 in die Ohren implantierte Titan-Stifte sollen der Frau geholfen haben.
Neurologe Dr. Ulrich Werth hat sich das Verfahren patentieren lassen.

Es war ein Schock für Bankkauffrau Ingrid Kaiser (62), als 1998 nacheinander zwei Neurologen Parkinson diagnostizierten. Unter der Krankheit, die bundesweit 300 000 Menschen betrifft, litt schon ihre Mutter. »Ich habe sie bis zu ihrem Tod gepflegt und wusste deshalb, was auf mich zukommen würde.« Bei Parkinson-Patienten sterben jene Gehirnzellen ab, die Dopamin produzieren - einen Stoff, der Nervenimpulse überträgt und für die Feinabstimmung von Bewegungen verantwortlich ist. Die Symptome waren typisch: Ingrid Kaiser zitterte so stark, dass sie ihre Kaffeetasse nur mit zwei Händen halten konnte. Sie war unsicher auf den Beinen, ihr Gang wurde zunehmend schleppender. »Ich konnte meinen Haushalt nicht mehr richtig führen, und an meine geliebte Gartenarbeit war überhaupt nicht mehr zu denken«, erinnert sich die 62-Jährige. Schließlich war das Krankheitsbild so ausgeprägt, dass die Bankkauffrau vorzeitig in den Ruhestand geschickt wurde. Sechs Arzneien musste sie täglich schlucken, um den zunehmenden Dopamin-Mangel auszugleichen und Nebenwirkungen einzudämmen. »Es ging mir schlecht, und nichts ließ mich hoffen, dass sich das ändern würde. Denn schließlich gilt Parkinson als unheilbar.«
Heute arbeitet Ingrid Kaiser wieder in ihrem 1200 Quadratmeter großen Garten. Sie hackt Holz, reinigt von einer Leiter aus die Regenrinnen ihres Hauses und hat vor einigen Monaten zusammen mit ihrem Lebensgefährten eine Pflegetochter aufgenommen. »Ich bin fit!«, strahlt die 62-Jährige.
»Das Wunder«, wie sie es nennt, soll der Neurologe Dr. Ulrich Werth aus Magdeburg vollbracht haben. Er implantierte der Patientin vor vier Jahren 60 Mini-Titanstifte in die Ohren - jeder 1,2 Millimeter lang und 0,7 Millimeter dick. Wodurch diese Stifte wirken sollen, ist nicht geklärt. Werth geht aber davon aus, dass sein patentiertes Verfahren dazu führt, dass die Dopamin-Produktion im Gehirn wieder angeregt wird. Ingrid Kaiser: »In den ersten sechs Monaten nach der OP ging es mir immer schlechter. Dann begann mein Hausarzt in Absprache mit Dr. Werth, die Parkinson-Medikamente langsam abzusetzen, bis ich im April 2003 überhaupt keine Tabletten mehr nehmen musste.« Und das ist bis heute so geblieben. Hausarzt Johannes Blümel aus Bad Driburg: »Frau Kaiser nimmt seit dreieinhalb Jahren kein Parkinson-Medikament mehr ein. Sie ist organisch gesund.«
Zur Überraschung der Mediziner soll bei der Frau nämlich die Dopamin-Produktion wieder eingesetzt haben. Das hat nach Angaben der Ärzte vor wenigen Wochen die Untersuchung bei einem Paderborner Radiologen ergeben. Er verabreichte der Patientin den radioaktiven Stoff DaTSCAN, der den Trägerstoff von Dopamin sichtbar macht, und fertigte Schichtaufnahmen vom Gehirn der Frau. Hausarzt Johannes Blümel: »Die Bilder zeigen, dass bei Frau Kaiser die Dopamin-Ausschüttung wieder funktioniert.«
Dr. Werth erklärte, die Frau aus Ostwestfalen sei der erste seiner 3000 Patienten, bei dem der Erfolg dokumentiert sei. »Wir werden jetzt weitere Patienten von Radiologen untersuchen lassen.«
Ob die Entwicklung bei Ingrid Kaiser ein Einzelfall ist oder die Titan-Implantate Hoffnung für andere Parkinson-Patienten sein können, steht nicht fest. Die »Deutsche Parkinson-Vereinigung« DPV warnt jedenfalls vor den Ohrimplantaten. Der ärztliche Beirat der DPV kam nach Überprüfung von 60 Fällen zu dem Schluss, dass die meisten Patienten mit dem Behandlungserfolg unzufrieden seien. Zudem wirft die DPV dem Magdeburger Arzt Geschäftemacherei vor, denn er verlangt 5000 bis 9000 Euro für den zweistündigen Eingriff unter örtlicher Betäubung - eine Summe, die der Arzt mit dem Preis der Titanstifte (95 Euro pro Stück) begründet.
Auch Prof. Dr. Dierk Dommasch, Chefarzt der Neurologie am Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld-Bethel, hat Zweifel: »Dass ein Mensch mit fortgeschrittener Parkinsonerkrankung ohne Medikamente längere Zeit symptomfrei sein soll, ist höchst unwahrscheinlich.« Möglicherweise habe die Patientin ja eine ganz andere Krankheit gehabt und sei gar nicht an Parkinson erkrankt, gibt der Arzt zu bedenken. Ingrid Kaiser teilt die Zweifel nicht: »Immerhin haben zwei Neurologen bei mir Parkinson diagnostiziert.« Die Frau ist sicher: »Dass ich mich heute wie neugeboren fühle, verdanke ich den Titan-Implantaten«.www.werththerapie.de
www.parkinson-vereinigung.de

Artikel vom 17.11.2006