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Advent im Haus der Dichterin
Wer das Schöne liebt, wird es bei »Weihnachten im Stall« auf Gut Böckel finden - dem Anwesen Hertha Koenigs
Zu den Orten, die im schönen Östwestfalen zu den Kleinodien gehören, zählt ohne Frage das Gut Böckel in Rödinghausen (Kreis Herford), an der Südseite des Wiehengebirges gelegen.
Dies gilt umso mehr, seitdem das im 14. Jahrhundert erstmals erwähnte Rittergut, viele Jahre Wohn- und Schaffensort der Dichterin, Kunstsammlerin und Mäzenin Hertha Koenig (1884-1976), mit dem Anfang der 1990er-Jahre in neue Hände kam und anschließend behutsam, mit viel Sachverstand und wohl noch mehr Liebe von der Kaufmanns- und Landwirtsfamilie Leffers restauriert wurde.
Eingebettet in die Landschaft am Fuße des Wiehengebirges werden dort, beim Dorf Bieren, nicht nur die Früchte des Ackers geerntet, vor allem Getreide, Raps und Rüben. Börries Freiherr von Oeynhausen-Leffers ist für diesen Teil des Gutslebens zuständig - der nicht unerheblich den anderen ermöglicht hat. Denn mit dem landwirtschaftlichen Betrieb erwirtschaftete Dr. Ernst Leffers, sein Vater, seit 1991 das, was das in vielerlei Hinsicht einmalige Anwesen auch optisch und vor allem kulturell wieder zu einer der ersten Adressen Ostwestfalens machte. Hertha Koenig, in den 1920er Jahren zusammen mit Ricarda Huch zu den bedeutendsten Lyrikerinnen ihrer Zeit gezählt, Gastgeberin Rainer Maria Rilkes, Marie von Ebner-Eschenbachs, des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss und des Philosophen Martin Heidegger - nie hat sie ihr Anwesen vermutlich so schön erlebt wie es sich dem Besucher jetzt, in vollrestauriertem Zustand, zeigt.
Einen der schönsten Gärten Deutschlands glaubte der Dirigent und Pianist Justus Frantz hier zu betreten (seit 2005 gehört die Anlage übrigens zum »European Garden Heritage Network«). Während der Sommermonate präsentieren sich hier international bekannte bildende Künstler innerhalb des Projektes »Gartenlandschaft Ostwestfalen-Lippe«. Und kommen namhafte Musiker in das Ensemble aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Höfen und Gärten, um im ehemaligen Kuhstall oder dem Haferhaus - an die alten Bestimmungen erinnernd und gleichwohl nach den Gesetzen der Akustik umgebaut - vor großem Publikum ein Konzert zu geben, so ist das Ergebnis, geprägt vom Umfeld, oft noch weit bezaubernder als erwartet. Das Auge »isst« eben mit...
Und was während der warmen Jahreszeit mit der hochkarätigen Musikveranstaltung »Russischer Sommer« (erinnert an Hertha Koenigs Großvater Leopold Koenig, der in St. Petersburg geboren wurde, sein Vermögen mit Zuckerfabriken im Zarenreich erwirtschaftete und für seinen Sohn Carl, Herthas Vater, das westfälische Gut Böckel kaufte) oder den Dichterlesungen der Reihe »Wege durch das Land« funktioniert, wo die Umgebung ihren Teil zur Steigerung des Vergnügens am Gebotenen beiträgt, so hat sich auch im Winter in den vergangenen Jahren eine Veranstaltung auf dem Gut etabliert, die mehr und mehr Freunde gewinnt.
Jeweils am ersten Adventswochenende steht das Anwesen unter dem Motto »Weihnachten im Stall«. Auch eine kommerzielle Veranstaltung - natürlich. Haus und Hof, wie sie jetzt dastehen, halten sich schließlich nicht von selbst in Schuss, das Schöne kann selten ohne wirtschaftliche Rückendeckung existieren.
Doch nicht der vorweihnachtliche Rummel der Innenstädte stand Pate, als die Eigentümer-Familie am Konzept feilte. Vielmehr sollte das Wunderbare, der Zauber, der der Vorweihnachtszeit ja nach wie vor innewohnt, hier eine Heimstatt bekommen. Und so bringt sich die große Familie der Gutsbesitzer Ernst und Karen Leffers mit Tochter Nadia Lange als Organisatoren in vieler Hinsicht ein - die 13-jährige Enkelin Larissa von Oeynhausen etwa hat in diesem Jahr den Stempel entworfen, mit dem im Weihnachts-Sonderpostamt auf dem Gut Karten und Briefe freigemacht werden.
»Stille und fröhlich Lautes wechseln sich ab, beides hat seinen Platz«, sagt Dr. Ernst Leffers, und freut sich auf das große Feuerwerk bereits am ersten Abend der Veranstaltung (1. Dezember), auf die »Pipes & Drums«, die schottische Dudelsack-Kapelle, ebenso wie auf die stillen Stunden in der Schlosskapelle, mit Adventssingen und Holzbläsermusik. Und wieder ist übers Jahr auch ein Raum fertig geworden, der nun neu präsentiert werden kann. »Wir haben die alten Mühle restauriert«, sagt Ernst Leffers. Dort könne nun jedermann nachvollziehen, »wie's früher wohl lief«. So ist, wie im vorvergangenen Jahr die historische Spinn- und Webstube, erneut ein Kleinod hergestellt worden, wie es einst im Jahrhunderte alten Gebäudekomplex existierte.
Hervorgetan hat sich dabei auch der Bielefelder Textilkaufmann Horst-August Bollweg, der nicht nur historisches Gerät und Ausstattung für die Spinnstube zusammentrug, sondern auch Teile seiner großen Schlittensammlung, auf die auch von Museen gern zurückgegriffen wird, per Dauerausstellung im ehemaligen Pferdestall präsentiert. Um die 50 der guten Stücke sind dort zu bewundern.
Ob's draußen, wo Lichtkünstler die Gebäude in stimmungsvolle Atmosphäre tauchen, Schlittenfahrten geben wird, das liegt nicht in der Hand der Veranstalter - die aber ansonsten wieder alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um Originelles und Hochwertiges aus aller Welt ins Haus zu holen. 70 Aussteller bieten Raritäten wie Papier aus Elefantendung, »Made in Sri Lanka«, Lackarbeiten aus Burma, Gefäße aus Pferdehaar, Kaffee aus dem äthiopischen Regenwald sowie spezielle Holzarbeiten aus Amerika, Tierportraits, güldene Rahmen, Handarbeitssocken, Wein, Amphoren und vieles mehr. Schönes zum Ver- (und sich selber) schenken eben.
Dass der exklusiv für das ostwestfälische Rittergut gebackene Christstollen aus Dresden ebensowenig fehlt wie eine zünftige Bratwurst versteht sich von selbst. Denn was wäre ein Weihnachtsmarkt, und selbst der schönste, nur ohne sie?
Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 25.11.2006