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»Wenn es um die Macht geht, sieht man das in der SPD anders. Da gibt es keine Kleinigkeiten.«

Leitartikel
Große Koalition

Die SPD entdeckt Europa


Von Jürgen Liminski
Was ist Europa? Diese Frage stellen sich deutsche Politiker zwar in diesen Tagen häufiger, denn man bereitet sich auf die Ratspräsidentschaft im nächsten Halbjahr vor.
In diese Zeit fällt auch das 50-jährige Jubiläum der Römischen Verträge (25. März 1957) zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, die Bundesregierung möchte die Verfassungsdebatte neu anstoßen und angesichts der weltweiten Krisen scheint ein einiges Europa nötiger denn je. Was ist, was kann Europa, wie einig ist man sich? Die Fragen erinnern auch an die vielen Pläne zu Europa, zum Beispiel an das »Projekt für den ewigen Frieden in Europa« des französischen Abtes Saint Pierre vor knapp dreihundert Jahren. Der alte Fritz meinte dazu sarkastisch zu seinem Freund Voltaire: »Die Sache wäre sehr brauchbar, wenn nur nicht die Zustimmung der europäischen Fürsten und noch einige ähnliche Kleinigkeiten dazu fehlen würden.«
Trotz dieser Kleinigkeiten - heute ist es die Zustimmung mancher Völker zu einer gemeinsamen Verfassung - schaut die Bundesregierung mit Zuversicht auf die Präsidentschaft. Auch die SPD tut es jetzt intensiver. Und hier beginnen die Probleme. Denn die SPD hat in wesentlichen Bereichen ganz andere Ansichten als der Partner in der Großen Koalition.
Zum Beispiel im Fall Türkei. Der Kommissionsbericht zur Türkei fällt wieder ziemlich schlecht aus für Ankara. Eigentlich wäre es jetzt redlich, die Beitrittsverhandlungen abzubrechen. Dennoch hat sich SPD-Chef Kurt Beck in seiner Rede für einen Beitritt der Türkei als Vollmitglied ausgesprochen.
Die Union ist dagegen. Hier tut sich eine Konfliktlinie auf für die EU-Präsidentschaft der Großen Koalition. Es sei denn, die Kanzlerin opfert auch diese Position auf dem Altar der großkoalitionären Harmonie. Einen Nutzen hätte davon nur die SPD. Schließlich sind die Erfolge in der Außenpolitik, die de facto Reparaturarbeiten nach der Ära Schröder sind, sozusagen der Trumpf der Kanzlerin. Ihn will die SPD ihr sanft aus der Hand nehmen, indem sie sich selber und vor allem ihren künftigen Kanzlerkandidaten Beck außenpolitisch profiliert. Mit Europa hat das relativ wenig zu tun.
Das wird schon deutlich beim Thema Kündigungsschutz und Arbeitszeiten. Die Kommission hat sich die Flexibilität und die Sicherheit auf den Arbeitsmärkten zum Topthema für das nächste halbe Jahr, also die Zeit der deutschen EU-Präsidentschaft, vorgenommen. Als Beispiel wird immer Dänemark genannt. Dort gibt es praktisch keinen Kündigungsschutz aber auch eine Sofortvermittlung nach dem Verlust des Arbeitsplatzes. Dänemark hat die geringste Arbeitslosenquote in der EU. Ein Beispiel für alle. Dennoch hält die SPD stur am starren Kündigungsschutz fest. Man solle europäische Richtlinien nicht immer mit so einer »Akribie« verfolgen, meint Franz Müntefering.
Wenn es um die Macht geht, sieht man das in der SPD anders. Da gibt es keine Kleinigkeiten.

Artikel vom 13.11.2006