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Gott ist jetzt
»die Heilige«

Kritik an Bibelübersetzung hält an

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Die »Bibel in gerechter Sprache« stößt auf große Resonanz. Obwohl erst im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt, erscheint am 23. November bereits die zweite Auflage mit 20 000 Exemplaren. Gleichzeitig wächst die Kritik an der Übersetzung.
Andreas Lindemann, Kirchliche Hochschule Bethel.

»Bücher mit Debattenpotenzial sind zur Zeit sehr gefragt«, sagte die Sprecherin des Gütersloher Verlagshauses, Karin Rohde. An der 2400 Seiten dicken Übersetzung der griechischen und hebräischen Originaltexte des Alten und Neuen Testaments durch 52 Bibelwissenschaftler (42 Frauen) scheiden sich die Geister. Während die Befürworter die Einführung von »Jüngerinnen« und alternativer Gottesbezeichnungen wie »die Ewige« oder »die Heilige« als Überwindung einer männlich dominierten Übersetzertradition feiern, sehen Gegner darin eine Verfälschung der Originaltexte.
»Ich halte das Unternehmen im Ganzen für missglückt«, sagte Andreas Lindemann am Freitag dieser Zeitung. Seit 1978 lehrt der Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Bielefeld-Bethel. Die Bezeichnung »Der Herr«, die, weil maskulin, angeblich nicht geschlechtergerecht sei, hält er für weniger missverständlich als die Alternative »die Heilige«, womit auch eine anderweitig herausgehobene Person gemeint sein könnte. »Der Herr« werde immer schon als Synonym für den Gottesnamen verwendet. Der Vorschlag der Bibelübersetzer, statt dessen das hebräische »Adonaj« zu verwenden, überzeuge nicht. Denn Adonaj heiße übersetzt »mein Herr«, so Lindemann (63).
Er kritisiert, die »Bibel in gerechter Sprache« gebe Mutmaßungen als Tatsachen aus. So heiße es dort, zu Johannes dem Täufer seien Zöllnerinnen gekommen. Dabei stehe nicht fest, dass Frauen damals diesen Beruf ausübten. In der Apostelgeschichte sei tatsächlich von einer Jüngerin namens Tabita die Rede. Die »gerechten« Bibelübersetzer hätten aus ihr merkwürdigerweise eine »Schülerin« gemacht, wundert sich Lindemann. »Abstrus« findet er die Übersetzung des Beginns des Johannes-Evangeliums. Statt »Am Anfang war das Wort und das Wort ward Fleisch« heißt es nun »Am Anfang war die Weisheit und die Weisheit wurde Materie«. Das Wort Materie gebe den Vorgang der Menschwerdung »nicht angemessen wieder«.
Die Martini-Kirchengemeinde Bielefeld-Gadderbaum, die die »gerechte« Übersetzung des 2. Korintherbriefes finanziell unterstützte, teilt die Kritik nicht. Die »gerechte« Bibel werde ganz neue Zugänge zum Buch der Bücher ermöglichen, aufklären und zum Verständnis beitragen, ist Pfarrer Hans Große überzeugt. Als »produktive Ergänzung« trete die Übersetzung an die Seite der alten.

Artikel vom 11.11.2006