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Der »Fonds« ist nicht alles

Was uns die Gesundheitsreform alles bringt - Neue Serie: Teil 1

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). Ulla Schmidt hat ein Problem: »Alle reden vom Fonds«. Wenn es um die Gesundheitsreform geht, steht die zentrale Beitragserfassung im Blickpunkt, obwohl es damit erst 2010 ernst wird. Am 1. April 2007 starten dagegen zahlreiche andere Einzelregelungen, die es in sich haben. Das WESTFALEN-BLATT erklärt in einer Serie von heute an: »Was die Gesundheitsreform alles bringt.«
Bundes-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD).
Das »Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung« will mehr. Das Gesundheitssystem wird auf allen Ebenen neu strukturiert und wettbewerblich ausgerichtet. Damit wird fortgesetzt, was mit dem GKV-Modernisierungsgesetz 2003 eingeleitet wurde.
Krankenkassen erhalten künftig die Möglichkeit, ihren Versicherten Wahltarife anzubieten. Damit sollen sie sich stärker an deren Bedürfnissen orientieren. Künftig wird der Beitrag bei allen Kassen sehr ähnlich sein. Wollen die Kassen sich besser unterscheiden, müssen sie mit bunten Angeboten punkten.
Dazu gehören spezielle Hausarzttarife, die alle Krankenkassen anbieten müssen. Das Mitmachen bleibt allein den Ärzten und Patienten freigestellt. Weiter wird es Extra-Tarife zur Nutzung von besonderen Versorgungsangeboten in Form von Kostenerstattungen oder Selbstbehalten geben. Gesetzlich Versicherte sollen wie in der Privaten Krankenversicherung (PKV) dafür zugelassene Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen selbst auswählen. Mehrkosten sind nur dann fällig, wenn die Ausgaben über die der Vertragshäuser der Kassen hinausgehen.
Die Private und die Gesetzliche Krankenversicherung werden sich in vielem ähnlicher. Hauptgrund: Das Gesetz macht den Privaten erhebliche Vorschriften. Alle PKV-Unternehmen müssen von 2008 an einen Basistarif anbieten. Dieses Mindestangebot entspricht dem, was der durchschnittliche Kassenpatient beanspruchen kann. Der neue Basistarif darf den durchschnittlichen GKV-Höchstbeitrag nicht überschreiten. Neu ist auch, dass jeder Privatpatient, jeder freiwillig GKV-Versicherte und alle Nichtversicherten, die irgendwann einmal in der PKV waren, diesen Basistarif verlangen dürfen. Er muss ohne Risikozuschläge und ohne Leistungsausschlüsse gewährt werden.
Will künftig ein privat Krankenversicherter in ein anderes PKV-Unternehmen wechseln, kann er seine Alterungsrückstellungen im Umfang des Basistarifs mitnehmen. Rückstellungen wurden für langjährig Privatversicherte 2001 eingeführt und bedeuten, dass inzwischen 10 Prozent des Monatsbeitrags zusätzlich erhoben und bis zum 65.Lebensjahr des Versicherten »zurückgestellt« werden.
Ein Beispiel: Ein 50-jähriger Familienvater, der für seine eigene Krankenversicherung derzeit 410 Euro bezahlt, muss weitere 46 Euro dafür zurücklegen, dass seine Beiträge im Alter weniger stark steigen. Im Fallbeispiel sind inzwischen 1300 Euro aufgelaufen. Die Privatversicherer behaupten, beim Wechsel zur Konkurrenz sei eine Mitnahme dieser 1300 Euro unmöglich. Gesundheitsministerin Schmidt hält das für falsch.
Wettbewerb bringen sollen auch Einzelverträge der Kassen mit Ärzten oder Ärztegruppen - vorbei an der Kassenärztlichen Vereinigung. Dabei geht es um hausarztzentrierte Versorgung, ambulante ärztliche Versorgung sowie besondere Versorgungsverträge etwa für Zuckerkranke oder Bluthochdruckpatienten. Um die Behandlungsqualität von Menschen mit schweren oder seltenen Erkrankungen zu erhöhen, dürfen geeignete Krankenhäuser in Zukunft spezialisierte Leistungen auch ambulant anbieten.
Die Arzneimittelpreise werden von Festpreisen auf Höchstpreise umgestellt, das heißt: keine Grenze mehr nach unten. Als große Nachfrager sollen die Krankenkassen direkt mit den Herstellern von Arzneimitteln Rabattverträge abschließen. Apotheken können an diesen Verträgen beteiligt werden.
Kassen und Apotheken sind vom Gesetz verpflichtet, bis Ende März 2008 mindestens 500 Millionen Euro einzusparen. Wird dieses Ziel verfehlt, müssen die Apotheker den Fehlbetrag aus eigenem Vermögen decken.
Und noch ein Ziel wurde gesteckt: Neue Arzneimittel sollen sich endlich an ihrem Nutzen und an ihren Kosten messen lassen. Die uralte Forderung nach Kosten-Nutzen-Bewertung ist in früheren Reformen nie erfüllt worden.
Folge 2 am Dienstag: Palliativ-Care-Teams

Artikel vom 11.11.2006