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»Wolf war schlimmer als sein Ruf«

Architekt der DDR-Auslandsspionage im Alter von 83 Jahren gestorben

Von Thomas Schmoll
Berlin (Reuters). Der frühere DDR-Spionagechef Markus Wolf ist gestern im Alter von 83 Jahren gestorben. Symbolträchtiger könnte das Datum kaum sein: Auf den Tag vor 17 Jahren, am 9. November 1989, fiel die Mauer - der Anfang vom Ende der DDR, in der Wolf eine Bilderbuch-Karriere machte.
Markus Wolf, einstiger DDR-Geheimdienstchef, ist tot.

Wenn ein Agent des Kalten Krieges den Titel »Meisterspion« verdient hatte, dann war es wohl Wolf. Obwohl er schon 1952 die Leitung des DDR-Auslandsnachrichtendienstes übernahm, gelang es westlichen Aufklärern erst 1978 in Stockholm, ein Foto von ihm zu machen. Bis dahin galt Wolf als »der Mann ohne Gesicht«. Bis zuletzt stand der Sohn des Dichters Friedrich Wolf zu seiner Tätigkeit für die SED-Machthaber und seinem Schwur, frühere Helfer nicht zu verraten. Das maßgeblich von ihm errichtete System der Auslandsspionage wird mit einer Krake verglichen: beweglich, vielarmig und rundum präsent. »Er war ein Meisterspion, dessen Wirken viel schlimmer war als sein Ruf«, sagte der englische Historiker Timothy Garton Ash. Der Professor an der Universität Oxford ist bestürzt, dass Wolf inzwischen als »glanzvoller Intellektueller und kommunistischer Reformer« idealisiert werde.
Wolf - Spitzname Mischa - gelangen immer wieder spektakuläre Coups. Er rekrutierte den persönlichen Mitarbeiter von Bundeskanzler Willy Brandt, Günter Guillaume. Nach dessen Enttarnung 19974 musste Brandt zurücktreten - Wolf erhielt den Karl-Marx-Orden. Auch im Brüsseler Nato-Hauptquartier konnte der »Mann ohne Gesicht« einen Spitzenagenten mit dem bezeichnenden Decknamen »Topas« unterbringen. Bis Ende 1989 lieferte »Topas« der Stasi gut zwei Jahrzehnte lang brisantes Material.
Wolf war Kommunist. Mit seiner Familie ging er 1933 in die Sowjetunion. 1945 engagierte sich Wolf als SED-Mitglied der ersten Stunde für den »Aufbau des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden«. Da gegen Wolf in der Bundesrepublik ein Haftbefehl bestand, floh er nach der Wende 1990 über Österreich, das ihm Asyl verweigerte, nach Moskau. 1991 kehrte er in das wiedervereinte Deutschland zurück. 1993 wurde ihm in Düsseldorf der Prozess wegen Landesverrats gemacht. Er bekam sechs Jahre Gefängnis. Wolf erhielt aber Haftverschonung, weil ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts über die strafrechtliche Verfolgung von Ex-DDR-Spionen ausstand. Da die Karlsruher Richter hohe Hürden für eine Verurteilung festlegten, hob der Bundesgerichtshof die Strafe auf. 1997 wurde Wolf wegen der Entführung eines abtrünnigen Stasi-Offiziers zu einer zweijährige Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

Artikel vom 10.11.2006