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Im Fahrstuhl zum Bauch des Berges
Längster Eisenbahntunnel der Welt durch den Gotthard - Bahnhof 800 Meter unter der Oberfläche
Eine Vision - eine verrückte dazu - nimmt Gestalt an. Tief unten in den Schweizer Bergen, fast einen Kilometer unter der Oberfläche, soll in zehn Jahren ein Tor zur Bergwelt eröffnet werden. Die Porta Alpina wird dann die größte Attraktion eines Projekts sein, das in seinen Dimensionen ohnehin unerreicht ist. Am Gotthard wird derzeit der mit 57 Kilometern längste Eisenbahntunnel der Welt gebaut.
Die Idee eines Tunnels durch den Gotthard ist nicht neu. Bereits 1947 gab es erste Pläne. Bis zum ersten Spatenstich verging dann allerdings fast ein halbes Jahrhundert. Seit 1993 nun fressen sich tatsächlich riesige Bohrmaschinen in den Berg, um das Jahrtausend-Bauwerk zu realisieren. Insgesamt wird das Tunnelsystem 153 Kilometer betragen. Mehr als zwei Drittel davon sind inzwischen geschafft. Von vier Baustellen aus graben sich etwa 2000 Arbeiter in jeweils drei Schichten rund um die Uhr tiefer und tiefer ins Gestein. Alles in allem werden es 13 Millionen Kubikmeter Fels sein, die aus dem Massiv herausgefräst wurden, wenn 2016 die ersten Züge mit Tempo 250 durch den Berg rasen.
Benötigt man heute für die Bahnreise von Zürich nach Mailand drei Stunden und 40 Minuten, geht es per AlpTransit durch das System von Gotthard-, Ceneri- und Zimmerberg-Basistunnel eine Stunde schneller. Fast wichtiger aber schätzen die Verantwortlichen die Bedeutung für den Güterverkehr ein. Da es auf der gesamten Tunnelstrecke kaum nennenswerte Steigungen gibt, können Güterzüge mit bis zu 160 Kilometern pro Stunde durch den Gotthard fahren - fast doppelt so schnell wie es auf den heute bestehenden Gleisen möglich ist. Zudem sind die Züge in der Lage, 4000 Tonnen zu transportieren.
Auch das entspricht einer Verdoppelung. Planer, Investoren und alle, die sonst noch den Bau des Eisenbahntunnels befürworten sind sicher, dass damit die Straße und der Gotthard-Autobahntunnel vom Lkw-Verkehr entlastet wird.
Die Kosten für den Jahrtausend-Tunnel beziffert das zuständige Konsortium derzeit auf etwa 5,5 Milliarden Euro - ohne die Porta Alpina, die aber für vergleichsweise wenig Geld entstehen kann und vermutlich auch wird. Denn der eigentliche Startschuss für den Bahnhof tief unten im Berg ist inzwischen gefallen. Ende Oktober gab es die erste Sprengung fast einen Kilometer unterhalb des Bergdörfchens Sedrun. Über die 1500Seelen-Gemeinde sollen die Reisenden später ans Tageslicht gelangen und das Bergpanorama genießen.
Der Aufstieg erfolgt dann mit einem Fahrstuhl, der auf zwei Stockwerken bis zu 80 Personen in kürzester Zeit aus den Tiefen des Bergs fast bis an die Oberfläche trägt. Dort oben wird es eine weitere kurze Bahnfahrt geben, ehe sich die beeindruckenden Felsmassive des Bündner Oberlandes den Touristen zeigen.
Bis es tatsächlich so weit ist, muss aber der Bauch des Berges noch kräftig ausgehöhlt werden. Vier große Wartehallen, die jeweils 240 Personen Platz bieten, gilt es aus dem Fels zu sprengen, zu bohren und zu graben. 38 Meter lang, zehn Meter breit und 5,5 Meter hoch sollen die Hallen auf Tunnelniveau sein, die auch die Funktion von Schleusen für die Wartenden haben. Denn die gewaltige Druckwelle eines vorbeirasenden Zuges im Tunnel würde die Reisenden sonst wie Papiertücher mit sich reißen.
Zwar liegen die Arbeiten bislang durchaus gut im Zeitplan. Doch längst läuft nicht immer alles glatt. Während einige Passagen mit ungeahnter Schnelligkeit durchbohrt werden - die Rekord-Tagesleistung liegt im Moment bei 38 Metern - sorgt der Fels an anderer Stelle dafür, dass es nur mühsam voran geht. Das Gestein drückt nach, bröckelt und rieselt. Höchstens sechs Meter am Tag werden hier geschafft, da die mühsam herausgearbeitete Röhre aus Sicherheitsgründen mit Spritzbeton und Stahl stabilisiert wird.
Auf einem anderen Teilabschnitt kämpfen die Arbeiter mit einem Wassereinbruch. Der Vortrieb des Tunnels befindet sich 1300 Meter unter dem Bereich der Stauanlage Nalps. Dennoch messen die Geräte hier unten, tief im viele Millionen Jahre alten Gestein, einen Wasseraustritt von acht Litern pro Sekunde. Nach weiteren Untersuchungen steht fest, die komplette Zone muss abgedichtet werden. Das geschieht mit speziellen Injektionen, die den Wasserdurchfluss verhindern sollen. Ende Januar, so hofft die Bauleitung, können dann die Bohrarbeiten auch hier wieder aufgenommen werden.
Der jetzt gestartete Ausbau der Porta Alpina indessen ist von den Abdichtungs-Maßnahmen derzeit nicht betroffen. Die Arbeiter, die in diesem Bereich und den angrenzenden Tunnelröhren im Einsatz sind, erleben dabei täglich einen Vorgeschmack auf das, was Touristen in Zukunft genießen sollen. Sie fahren nämlich zum Schichtbeginn und -ende mit einem Lift die 800 Meter hinab und wieder hinauf. Die Kolonnen fahren zu ihrer Schicht mit einem Gitterkäfig in den düsteren und warmen Bauch des Berges ein - die Temperatur wird mit einem Lüftungssystem von 40 auf etwa 27 Grad abgekühlt. Später soll das natürlich um ein Vielfaches komfortabler sein.
Wer sich so lange nicht gedulden mag, dem bietet die Alptransit Gotthard als Bauherr schon derzeit für 60 Euro eine Fahrt in die Unterwelt des Felsmassivs an. Die Besucherquote ist bislang jedoch auf 15 Personen pro Woche beschränkt. Kein Wunder deshalb, dass die Warteliste bereits bis ins übernächste Jahr reicht und fast täglich weiter wächst.
Wolfgang Schäffer
www.alptransit.ch

Artikel vom 13.01.2007