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Natürlich vermutet man im Fußballstadion nicht mehr oder weniger Menschen mit Schreibproblemen als woanders, betonen die Experten. Man finde beim Fußball aber ein Publikum vor, das die Augen und Ohren vor dem Problem nicht verschließe, sondern sich engagiere, versichert Marion Döbert, die das Projekt jetzt vor einem Arminia-Heimspiel gemeinsam mit Andreas Brinkmann vom Bundesverband Alphabetisierung einem breiten Publikum vorstellen konnte. Zunächst an einem Info-Tisch vor dem Haupteingang zur SchücoArena, anschließend dann zusammen im Interview mit Stephan Schueler auf dem grünen Rasen. »Etwas Lampenfieber gehört auch dazu«, gesteht Marion Döbert: »Schließlich habe ich noch nie vor mehr als 20 000 Menschen frei gesprochen.«
Das Projekt FAN, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, haben der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V., der Bayerische Rundfunk und der Deutsche Volkshochschul-Verband ins Leben gerufen, schildert Döbert. Mit Stadionaktionen, einer Fernsehserie im Fußballmilieu und neuen Unterrichtsmaterialien soll die Öffentlichkeit informiert werden. Marion Döbert: »Durch die Unterstützung des Projektes FAN zeigen die Arminia und die VHS, dass Bildung und Fußball in einer Liga spielen.«
Für die gebürtige Essenerin Marion Döbert ist die Alphabetisierung eine Herzensangelegenheit. Auch wenn sie sich bei der Volkshochschule in Bielefeld inzwischen um den Gesundheitsbereich kümmert, arbeitet sie für die Sparte der Alphabetsierung weiter als Koordinatorin für die verschiedenen Kurse, kümmert sich zudem um die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverbandes. Eigene Kindheitserfahrungen in der Familie, ist sie sich sicher, erleichtern ihr heute das Verständnis für Menschen mit Defiziten beim Lesen und Schreiben, vor allem aber für deren Probleme im Alltag, in Ausbildung, Beruf und Freizeit gleichermaßen. Sitzenbleiben, schlechte Schulerfahrungen kennt sie aus eigener Erfahrung, aber auch die große Trendwende. Mit zehn Jahren, erzählt Marion Döbert, sei sie zu Nonnen in eine Privatschule gekommen. Man kümmerte sich intensiv um das junge Mädchen, das letztlich nicht nur das Abitur meisterte, sondern auch ihr Studium mit Auszeichnung. Das sehr gute Milieu, weiß sie heute, hat den Ausschlag gegeben für die Umkehr in ihrer eigenen Biografie.
Besonders glücklich ist das gesamte Team der VHS-Koordinatorin, dass man bei Arminia Bielefeld sofort auf offene Ohren stieß. Abwehrspieler Markus Schuler wusste bereits, dass viele Jugendliche und Erwachsene - gerade im Berufsleben - Probleme mit demLesen und Schreiben haben. Dass aber in Deutschland jährlich 90 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss abbrechen, erstaunte auch ihn. Das sind immerhin zehn Prozent eines Schuljahrgangs. Wer nicht einmal die unterste Stufe der Lesekompetenz erreicht, vermag nicht einmal die Packungsbeilage eines Medikaments zu verstehen.
Dabei sind Menschen mit Defiziten beim Lesen und Schreiben im Alltag oftmals wahre Improvisationskünstler. Sie verfügen, schildert Marion Döbert, über eine starke Merkfähigkeit, über teils stärker geschärfte andere Sinne, weil sie ein Defizit ausgleichen müssen. Sie können gut zuhören, speichern und geschickt überspielen. Ein Alphabetisierungskurs indes ist das wesentliche Instrument, um sich mit mehr Schreib- und Lesekompetenz Perspektiven im Alltag zu erarbeiten.
Die Aktion mit Bundesligist Arminia Bielefeld, die auch in ähnlicher Form bei anderen Vereinen durchgeführt wird, ist besonders sinnvoll wenn man weiß, dass derzeit deutschlandweit nur 0,5 Prozent der Betroffenen die Möglichkeit nutzen, in Kursen ihre Fähigkeiten zu verbessern. Wer mehr wissen möchte, kann sich am so genannten Alfa-Telefon unter 0251/53 33 44 informieren. Die Mitarbeiter geben Auskunft über die verschiedenen Angebote bei ortsnahen Weiterbildungseinrichtungen. Ansprechpartnerin Marion Döbert bei der VHS Bielefeld erreicht man unter 0521/51 35 89. Informationen gibt es auch im Internet unter »www.alphabetisierung.de«. Die VHS bietet jährlich ein Dutzend Kurse. Die kleine Teilnehmerzahl von maximal zehn Erwachsenen verspricht ein gutes Lernergebnis.

Artikel vom 11.11.2006