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Fischfutter, Kreissägen und Blondinen

Ein Streifzug durch das virtuelle Universum der Grafiker und Animatoren von »Animagic«

Von Matthias Meyer zur Heyde und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). Fantasy-Romane ohne kurvige Blondinen und die Helden des Bizeps auf dem Cover gehen gar nicht, oder? Anders gefragt: Würden Sie unbesehen eine Kreissäge kaufen? Ob Buch, ob Säge: »Animagic« zeigt Ihnen alles Schöne und Nützliche der Erde.

Rumpel! Wrommm! Und ewig lärmt der Verkehr auf der Detmolder Straße, aber wir kehren diesem Universum den Rücken. Ein Altbau, drei Etagen. Aquarienfische glucksen, Spirou, der schmalbrüstigste Hotelpage de la France, hechtet über den Flur, aus den Regalen quellen Comics und Mangas und DVDs und Taschenbücher (Fantasy, überall Fantasy!), und da, »Moment, irgendwo muss ich ihn haben«, schüttelt ein blauer Alien aus Knetgummi die Fäuste. Ah, da ist er: Indigo, mit dem alles begann. Okay, einiges zumindest.
»Animagic« ist eine junge, kreative Agentur, in der von der Fischfutterdose bis zum Raumkreuzer alles designt wird. Ein Aquarien-Spezialist aus Melle, guter Kunde seit Jahren, erklärt das Vorhandensein der Wasserbecken, obwohl in dieser virtuellen Welt der Grafiker und Animatoren, der Illustratoren und Programmierer die dollsten Fische über den Computerbildschirm schwimmen.
Die Mediengestalterin Sandra Hansing bastelt die Verpackung für eine Wasserpumpe - am PC. Auf dem Bildschirm nebenan kombiniert Carina Krause, Kollegin im zweiten Lehrjahr, Objekte, Schriftzüge und Farbelemente zu einem Karton, der später im Laden vom Regal ruft: In mir steckt das Richtige! Kauf mich! »Der Beruf des Mediengestalters ist ganz schön hip, auch wenn er eher den Gestalter verlangt, weniger den Künstler. Wir kriegen manchmal drei Bewerbungen pro Woche«, sagt der Ausbildungsleiter, Grafikdesigner Peter Eickmeyer. »Man muss ein Auge für das haben, was dem Kunden gefallen könnte.«
Pralinen, zum Beispiel, gefallen immer. Aus den meisten Büros werden sie containerweise zu den lieben Geschäftsfreunden gewuchtet. Nicht so bei »Animagic«. Andreas Hancock, »leider nicht mit Herbie verwandt«, Spezialist für Web- und Flash-Design - man könnte auch sagen: für alles, was auf dem PC-Schirm kreucht und fleucht - schaufelt den Kunden ein hübsches Spielchen auf den Rechner, in man den Weihnachtsmann auf Pralinenjagd schickt, und wenn man genug in Santa Clausens Mütze gesammelt hat, gibt's echte Leckerchen. Virtuell, Verzeihung: individuell verpackt.
Einmal rief Borsig an, der Herr über Deutschlands (petro-)chemische Industrie, er würde gerne wissen, wie man Geschäftsleute überzeugt, dass in Biogas volle Lotte Energie steckt. Gebongt: In Hancocks Flashfilm kommen grasende Kühe, ein Darmtrakt, gewisse Fladen und hungrige Fliegen vor. Und ein Summsemann mit Völlegefühl explodiert . . .
Bevor es an den Rechner geht, rauchen erst einmal die Köpfe, verspricht das »Animagic«-Team. »Ideen sind das halbe Leben«, oder so ähnlich murmelt Diplomdesigner Hancock und beugt sich über einen Stapel Zeichnungen (Zunftjargon: »Pencil and Paper«), denn »manche Kunden mögen es nicht so technisch clean.« Die 3D-Flashs, so witzig sie sind, sehen ziemlich endgültig aus, während in der Pencil-and-Paper-Technologie der Radiergummi noch wahre Wunder wirkt.
Wie werden opake Gegenstände durchsichtig? Im Raum nebenan (die Internet-Abteilung mit Stephan Kempers und Herbert Ahnen ist momentan verwaist) tüftelt der Designer Thomas Kickert, Chef der 3D-Unit, darüber, wie er das Interieur eines schwarzen Wasserfilters nach außen kehren kann, denn der Aquarienfreund möchte natürlich wissen, was er seinen Guppys ins Bassin hängt. Eine Firma, die den »Mercedes der Kreissäge« produziert, verlangte unlängst Innenansichten ihrer High-Tech-Maschinen. Wer aber zersägt mal eben einen Mercedes? Kickert tut's - am Rechner. Das Ergebnis, eine fotorealistische Bilderserie, schmückt jetzt einen werberelevanten Hochglanzprospekt.
Zeit für Spiel und Spaß. Kickert entrollt Mega-Fotos mit futuristischen Weltraumbombern - »eine Spielerei auf der Basis alter Luftkampfstorys, aber vielleicht für die Fantasy-Schiene brauchbar«.
Fantasy! Siedendheiß fällt uns Indigo ein, der fäusteschwingende Heißsporn from outer space. »Der tauchte in einem meiner frühen Comics auf, den Robert Feldhoff so gut fand, dass sich daraus eine bis heute andauernde Kooperation entwickelt hat«, erzählt Dirk Schulz, der Zeichner bei »Animagic«. Feldhoff ist das Herz von »Perry Rhodan«, der größten und langlebigsten Science-fiction-Heftserie der Welt (seit 1961), und schreibt die Exposés zu den Weltraumabenteuern. Schulz ist einer von nur drei Cover-Zeichnern, die Perry, Atlan, Gucky & Co. ein Gesicht geben dürfen.
Außerdem hat er ein super Projekt gestartet: den »Splitter«-Verlag, einen Hingucker der Frankfurter Buchmesse. »ÝSplitterÜ ist auf Fantasy-Comics spezialisiert« - Schulz möchte unter anderem aus Frankreich stammende Kracher des Genres, hierzulande völlig unbekannte Spitzenware, auf dem deutschen Markt etablieren. Nix wie hin zum Comic-Händler!
Heikle Missionen im All, überall geifern Gruselmonster in atombusenverseuchten Zonen. Um die Bodenhaftung kümmern sich die für ihr Alter ziemlich abgeklärte Hundedame Yabou (11/2) und Schulz' Ehefrau Delia Wüllner-Schulz, die Geschäftsführerin bei »Animagic«. Und Robin, der neunjährige Sohn. Wächst hier auch ein Künstler heran? »Nein«, überlegt Mama, »ich glaube, Robin wird eher Steuerberater.«
Warum nicht. Präzise Rechner sind überall in der Galaxis gefragt.
www.animagic.de

Artikel vom 11.11.2006