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Hermann-Josef Kordt mit dem Ausgangsmaterial.

Glasbläser im Dienste
der Naturwissenschaft

Werkstatt fertigt Sonderapparate für Versuche

Von Sabine Schulze (Text)
und Bernhard Pierel (Foto)
Bielefeld (WB). Die einen liefern eine grobe Faustskizze mit mehr oder weniger hingekrickelten Anmerkungen ab. Die anderen haben auf Millimeterpapier und detailgetreu mit spitzem Stift exakt die Apparatur, die sie für ihre Versuche gerne hätten, entworfen. Aus beidem macht Annette Donth etwas: Spezielle gläserne Konstruktionen aus Röhren, Kolben, Hähnen und Ventilen, ohne die die Chemiker, Biologen, Physiker und Wissenschaftler der Technischen Fakultät ihre Arbeit nicht machen könnten.

Seit 1981 arbeitet Annette Donth in der glastechnischen Werkstatt der Universität. Ihren Beruf als Glasinstrumentenmacherin hat sie bei Hermann-Josef Kordt gelernt: Der Glasapparatebauer-Meister hat die Werkstatt aufgebaut und leitet sie seitdem. Chemiekenntnisse, schmunzelt er, seien nicht nötig. »Wichtig ist für uns nur zu wissen, für welche Funktionen eine Apparatur benötigt wird.«
Das Rohmaterial für die Glasapparatebauer sind anderthalb Meter lange Glasrohre mit einem Durchmesser zwischen drei und 130 Millimetern. Dazu kommen Vollglasstäbe oder Kapillaren, kleine und größere Kolben, Schliffverbindungen und Hähne - vom Einfachhahn bis hin zum Dreiwegehahn. All' diese Dinge werden zu komplizierten Apparaturen verschmolzen - im wahrsten Sinne des Wortes.
Etwa 2000 Grad heiß ist die Flamme, an der Annette Donth arbeitet. Immer wieder dreht sie einen Glaskolben darin, bis er beginnt, rot zu glühen. Dann bläst sie vorsichtig in den Hals des Kolbens und weitet ihn so auf. Erneut wird er in die Flamme gehalten, erneut vorsichtig umgeformt. Damit sie überhaupt in das grelle Licht sehen kann, trägt Annette Donth eine Brille mit Didium-Gläsern. Auf Handschuhe verzichtet sie: »Dann fehlt das nötige Fingerspitzengefühl«, sagt Hermann Kordt. Und weil Glas ein ganz schlechter Wärmeleiter ist, besteht kaum das Risiko, dass sie sich verbrennt.
Wenn der Kolben die gewünschte Größe und Form hat, lässt die Glasapparatebauerin ihn auskühlen. Danach wird geprüft, ob sich im Glas Spannungen aufgebaut haben. »Sicherheitshalber kommen bei uns alle Bauteile über Nacht in einen Ofen«, erklärt Kordt. Der wird auf knapp 600 Grad erhitzt - »eine Temperatur, bei der Glas noch nicht weich wird, die Spannungen aber abgebaut werden.« Dennoch kann es passieren, dass am nächsten Morgen etwas kaputt ist. Bei einem Versuch dürfte das nicht geschehen: Es könnte schließlich Ätzendes in dem Glasapparat sein.
Was auch immer die Wissenschaftler benötigen: Kordt und Donth versuchen, ihre Wünsche zu erfüllen, nutzen dazu auch die große Glas-Drehbank oder die Glassäge. Sie fertigen Sonderapparaturen, die so nicht zu kaufen sind, bauen um oder ergänzen. Und natürlich reparieren sie auch. »Das kann sich bei teuren Apparaten schon lohnen.« Einzige Maßgabe: Die in der Werkstatt abgegebenen Laborgeräte müssen sauber sein.
»Wir müssen oft mit dem Mund daran gehen, da wollen wir keinen Kontakt mit Rückständen haben«, erläutert Kordt. Und Annette Donth erinnert sich an den Kolben, der ihr regelrecht vom Halter sprang, als sie ihn in die Flamme hielt: »Es waren noch irgendwelche nicht sichtbaren Rückstände darin. Und beim Erhitzen haben sich dann Gase gebildet . . .« Ebensogut hätte das Glas in ihren Händen zersplittern können.
Unfälle hat es bislang aber nicht gegeben. »Man weiß bald, wie man das Glas anfassen muss«, sagt Kordt, derweil seine Kollegin mit einer speziellen Zange einer Reihe von Glasröhrchen »Schlaucholiven« - sie verhindern das Abrutschen von Schläuchen - verpasst. Allerdings gibt es komplizierte Sonderanfertigungen, die viel Konzentration und Geschick verlangen.
Annette Donth zeigt eine solche Apparatur, die Carsten Waltenberg bestellt hat. Der Chemie-Doktorand arbeitet im Arbeitskreis von Prof. Dr. Peter Jutzi. »Wir befassen uns mit Chemie unter Ausschluss von Sauerstoff und Feuchtigkeit.« Dazu benötigte er eine Umlaufapparatur zum Trocknen von Lösungsmitteln. Auf engem Raum, neben Hahn und Röhren, musste Annette Donth dafür einen Kolben anbringen. Dabei aber durfte die Flamme nicht in die Nähe von Schliff oder Hähnen kommen: Sie würden sich sonst verziehen und würden undicht. »Das war schon eine Herausforderung.«

Artikel vom 10.11.2006