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Sextäter führt
die Justiz vor

Stephanies Peiniger flieht aufs Dach

Dresden (dpa). Schockierende Justizpanne im Fall Stephanie: Der angeklagte Sexualtäter hat gestern mit einer spektakulären Kletteraktion auf das Dach der Dresdner Justizvollzugsanstalt Polizei und Justiz über Stunden in Atem gehalten.

Der vorbestrafte Mario M. entwischte um 7.24 Uhr bei einem Hofgang seinen Bewachern und kletterte über einen Mauervorsprung und Fenstergitter an der Außenmauer auf das etwa neun Meter hohe Gebäude. Bis zum Abend gelang es nicht, den vorbestraften Sexualstraftäter zum Verlassen des Daches zu bewegen. Spezialisten auf einer Hebebühne versuchten, mit dem 36 Jahre alten Mann ins Gespräch zu kommen.
Nach der Flucht von Mario M. auf das Dach riegelte die Polizei die Justizvollzugsanstalt (JVA) ab. Die Insassen wurden in ihren Zellen eingeschlossen. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei rückte an. »Wir wollen den Mann wohlbehalten vom Dach bekommen, damit der Prozess gegen ihn wie geplant fortgesetzt werden kann«, sagte ein Polizeisprecher. In die Gespräche mit dem arbeitslosen Monteur war dessen Verteidiger eingebunden. Zu den Motiven der Aktion wurde zunächst nichts bekannt. Von einer Fluchtabsicht des Angeklagten ging die Justiz nicht aus, da das Gebäude etwa 15 Meter von der Außenmauer der JVA entfernt ist.
Der Vater von Stephanie war außer sich und sagte, ein Erscheinen seiner Familie vor Gericht sei nunmehr undenkbar. »Ich will erstens nicht, dass meine Tochter den totalen Rückschlag kriegt. Und zum Zweiten: Die Tochter braucht nicht mehr auszusagen. Dazu braucht sie nichts mehr zu sagen. Das langt, was hier abläuft.« Er müsse nun offenkundig selbst für die Sicherheit seiner Familie sorgen. »Ich kann mich hier auf niemanden mehr verlassen - es ist traurig, aber wahr.« Die Nebenklage sprach von einer unfassbaren Justizpanne.
Laut Justizministerium war der Täter in einem Sondertrakt in einer Einzelzelle untergebracht und hatte kaum Kontakt zu anderen Häftlingen. Außerhalb des Haftraumes sei der 36-Jährige immer von zwei Bediensteten begleitet worden. Am Morgen war M. mit weiteren zwei Gefangenen und zwei Bewachern auf dem Hof der Haftanstalt unterwegs, als ihm die Flucht aufs Dach gelang.
Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) räumte eine Panne ein. Für Schuldzuweisungen sei es aber noch zu früh. Mackenroth nannte die Situation sehr belastend, »vor allem auch für Stephanie«. Bereits bei der Suche nach dem entführten Mädchen Anfang des Jahres war es bei der sächsischen Polizei zu Ermittlungspannen gekommen.
Klaus Jäkel, Landesvorsitzender des »Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands«, sagte, in NRW sei ein solcher Vorfall undenkbar: »Unsere Haftanstalten sind sicherer gebaut.«

Artikel vom 09.11.2006