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Vergessene Töpferkunst
Ausstellung zum »Pottland« an der Weser im Schloss FürstenbergSteinhäger-Flaschen, Omas Steinguttöpfe zum Einlegen von Gurken oder Sauerkraut, Bierhumpen und Blumentöpfe: Früher waren sie schier unverzichtbar. Heute jedoch sind Keramikgefäße rar.
Vom Kunsthandwerk abgesehen sind sei beinahe völlig aus dem Haushalt verschwunden. Wie ihre Herstellung und ihr Vertrieb aber jahrhundertelang einen Landstrich prägten, zeigt die Ausstellung »Kannen - Kruken - Kiepenkerle« im Schloss der Porzellanmanufaktur Fürstenberg. Sie erinnert an das »Pottland«, die Region um den Flecken Duingen zwischen Leine und Weser bei Hameln, die bis zum 19. Jahrhundert Zentrum der Keramikproduktion in Norddeutschland war.
Duinger Töpferwaren wurden in viele europäische Länder exportiert, ja selbst bis nach Nordamerika und in die Karibik. Schon für das 12. Jahrhundert konnte der Archäologe Professor Dr. Hans-Georg Stephan dort Töpfereien nachweisen. Denn die Tone fanden sich sehr oberflächennah: Man konnte sie aus Gruben in bester Qualität holen.
Beeindruckend sind die Zeugnisse mittelalterlicher Töpferkunst. So etwa ein rot lasiertes, reich verziertes Aquamanile, entstanden um 1300, das Stephan Ende der 70er Jahre bei Ausgrabungen geborgen hatte. Dieses kleine, vierfüßige Gießgefäß, das ein Mischwesen aus Hirsch und Pferd darstellt und aus zwei auf der Töpferscheibe gedrehten Kugeltöpfen zusammengesetzt wurde, hatte eine wichtige Funktion in der gehoben Tischkultur, als man zwar Löffel und Messer, aber noch keine Gabeln benutze: In ihm wurde Wasser gereicht, mit dem der Ritter nach dem Mahl seine Fettfinger reinigen konnten.
Steinzeug, bei 1200 Grad gebrannte wasserundurchlässige und säurefeste Keramik, ist schon für das 11. Jahrhundert für das Duinger Land ebenso nachweisbar wie Irdenware - Tonerzeugnisse, die bei 900 Grad gebrannt und mit einer Glasur wasserdicht gemacht wurden. Prof. Stephan nimmt an, dass Töpfer aus den Niederlanden und vom Niederrhein zwischen Leine und Weser siedelten, als der Ton-Reichtum dieser Region bekannt wurde.
Nach spätmittelalterlichen Absatzkrisen erlebte das Pottland mit der Renaissance eine neue Blüte: Natürlich verdienten die Töpfer mit Irdenware für den alltäglichen Hausgebrauch ihr Geld, doch auch vornehmes Steinzeug-Geschirr für Bürgerhäuser, Adelshöfe und Klöster verließ die zumeist als Familienbetrieb organisierten Werkstätten. Die Käufer waren stolz auf ihre Bildung: Das prächtige Tafel- und Ziergeschirr war neben pflanzlicher Ornamentik geschmückt mit Motiven biblischer Geschichten oder jenen aus der griechischen Mythologie, mit Löwen- und Engelsköpfen oder markanten Bartmannsgesichtern, die zur Abschreckung des Bösen gedient haben mochten oder »zur Konfrontation mit dem eigenen Ich«, wie es in der sehr informativen Begleit-Broschüre heißt.
Nicht selten verewigten sich auch die Schöpfer selbst: »Hans Issen hat mich gemacht«, verkündet stolz ein Spruchband auf einer Röhrenkanne aus Duingen. Issen war ein wohlhabender Töpfer und Topfhändler, der 1629 als Ratsherr aktenkundig wurde.
Neuartig in der Renaissance war auch die sogenannte Weserware. Die recht dünnwandigen Teller und Schüsseln waren mit bunten, lebhaften Ornamenten verziert. Dazu füllte man mit Metalloxiden eingefärbten Tonbrei in ein sogenanntes Malhorn und trug vor der Glasur und dem Brand Wellen- und Schlangenlinien, Punkte, Herz- und Blattformen auf die getrockneten Rohlinge. Eine ruhige Hand war vonnöten - die Chance zur Korrektur gab es nicht.
Aus unserer Erinnerung fast verschwunden ist, dass Apotheken sich fast vollständig mit säurefesten Steinzeugtöpfchen und -fläschchen, häufig aus Duingen, ausgerüstet hatten und dass die ersten Mineralwässer in »Duingener Pullen« auf den Markt kamen.
Neben der Töpferei selbst war der Handel mit Keramik ein zeitweise sehr einträgliches Geschäft. »Kiepenkerle« trugen die Produkte in Rückenkörben in die nähere Umgebung, und in Fuhrwerken, mit 70 Zentnern Töpferware schwer und hoch beladenen, ging es auf schlechten Wegen über Land - oft bis nach Dänemark oder nach Vorpommern. Die ganze Familie und das Gesinde waren bei diesen nicht ungefährlichen Touren von Ostern bis Ende September auf Achse. Die Höfe zu Hause wurden dann mit Brettern vernagelt. Dass Händler, ihre Frauen oder Knechte von umstürzenden Wagen erschlagen wurden, war keine Seltenheit.
Auch per Schiff oder Floß ging der Abtransport der Produktion vonstatten: von den Weserhäfen Bodenwerder, Hameln und Vlotho nach Bremen und von dort aus nach Holland, England oder Norwegen, über die Ostsee ins Baltikum, nach Ostpreußen oder bis nach Russland. Dieses Exportgeschäft war zeitweise so rege, dass Duinger Topfhändler in Bremen Niederlassungen gründeten.
Seit etwa 1800 war die Zahl der Duinger Töpfereien dann jedoch rückläufig. Gab es zwischen 1600 und 1800 in Spitzenzeiten bis zu 65 Betriebe, so waren 1811 nur noch 18 Töpfer in der Gilde organisiert, 1865 gar nur noch sieben.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts kam dieses Handwerk ganz zum Erliegen. Unzerbrechliches, maschinell gefertigtes Emaillegeschirr lief der Haushaltskeramik den Rang ab. Auch Steingut, Porzellan und Glas ließen sich in Fabriken preiswerter herstellen als in den Töpfereien. Nur episodenhaft sahen »Pottländer« in kunsthandwerklicher Keramik eine Alternative. Wohl aber wurden die Tonvorkommen für Ziegeleien am Hils ausgebeutet, wurden Steingutröhren oder Blumentöpfe hergestellt. Mit ihrer typischen Gelbfärbung gingen die »Hilsklinker« in der von dem Bauhausarchitekten Walter Gropius gestalteten Fassade der »Fagus-Werke« im nahen Alfeld in die Architekturgeschichte ein. Doch auch die Ziegeleien, die mittlerweile den Ton mit Schaufelbaggern aus der Erde holten, stellten bis zum Jahr 2000 ihren Betrieb ein.
Im Töpfereimuseum Duingen, aus dessen Beständen die Fürstenberger Ausstellung gestaltet wurde, ist dieses 800-jährige Stück regionaler Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte jedoch noch sehr lebendig.
Wolfgang Braun

Artikel vom 18.11.2006