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»Pelosi wird Mühe haben, ihre ausflippende politische Familie zusammenzuhalten.«

Leitartikel
Sieg der US-Demokraten

Erst leise Rache, dann Rückzug


Von Reinhard Brockmann
Der ersehnte Sieg für die Demokraten in den USA und die Gegner von US-Präsident George W. Bush weltweit ist da. Die Republikaner sind geschlagen, republikanische Hochburgen erobert. Sogar Sitze im Senat hat es gegeben, vermutlich mehr als die Hälfte. Und Nancy Pelosi (66) wird als erste Frau in der Geschichte der USA Parlamentspräsidentin.
Amerika hat den Republikanern eine schallende Ohrfeige verpasst und seinen Präsidenten in die Schranken neuer Mehrheiten gewiesen. Ganz klar: Trotz Niederlage bleibt George W. Bush oberster Militär und Außenpolitiker.
Die linke Kriegs-Gegnerin Pelosi will in den ersten 100 Stunden ihrer Herrschaft Mindestlöhne erhöhen, ein Gesetz zur Stammzellen-Forschung durchbringen und Empfehlungen aus der Untersuchung zum 9. September 2001 zur Vorschrift erheben.
Sie muss jetzt im eigenen Lager bremsen. Blinder Eifer kann nur schaden. Die fünffache Mutter und Großmutter Pelosi wird bei aller Erfahrung Mühe haben, ihre ausflippende politische Familie zusammenzuhalten. Siegestrunkene Demokraten brennen darauf, den Präsidenten vorzuführen.
Mit dem Vorsitz in 19 Ausschüssen führen die so lange kurzgehaltenen Bush-Gegner jetzt Regie. Sollten die alten Skripte mit umgekehrter Besetzung neu verfilmt werden, haben die US-News-Shows zwei Jahre volles Programm. Ein Beispiel: 20 Sitzungstage prüfte ein Ausschuss unter republikanischer Führung, ob Bill Clinton die Empfänger seiner Weihnachtspost auch zu Adressaten seiner Spenden-Bitten machte. Berechtigte Fragen nach Folter im Militärgefängnis Abu Ghraib hingegen waren in zwei Sitzungen abgehakt.
Falls die Demokraten der Verlockung zum Vorführen nicht widerstehen, tun sich reichlich Themen auf. Inkompetenz, Propaganda, Lügen, unangemessene Wortwahl sind die Stichworte US-politischer Kampfkultur, der sich gerade neue Betätigungsfelder erschließen.
Ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush hatte Pelosi vor den Wahlen ausgeschlossen. Das Kapitol sei kein Gerichtssaal, so lehnt sie das ansonsten in den USA so beliebte Courtroom-Drama ab. Dennoch wird es in Maßen Rachefeldzüge geben.
Pelosi oder Hillary Clinton? Seit gestern gibt es zwei starke demokratische Präsidentschaftskandidatinnen. Beide Frauen werden soldatisch-patriotisch und zugleich mütterlich-staatsbürgerlich überzeugend auftreten. Es gilt, bei der Gratwanderung aus dem Irak voranzuschreiten.
Allerdings: Die Demokraten stecken im gleichen Sumpf wie die Republikaner. Auch sie haben den Krieg gewollt. Vermutlich wird vorerst nicht ein Dollar weniger fließen. Immerhin hat Hillary Clinton vage Details für einen Teilrückzug zur Diskussion gestellt. Es gehe um die Neugruppierung der verbleibenden US-Truppen, so hat sie die Debatte eröffnet.
Wer immer 2008 gegen Bush antritt, er wird nach diesem Stimmungstest mit dem Versprechen aufwarten, die Boys nach Hause zu holen.

Artikel vom 09.11.2006