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»Wir sind wieder konkurrenzfähig«

Martin Kannegiesser vor dem 65. Geburtstag über Tarifverträge, Politik und Manager

Vlotho (WB/in). »Wenn es jetzt kalt wird, bekommt die Metallbranche nicht gleich eine Lungenentzündung.« Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser zieht eine positive Bilanz der Tarifpolitik der vergangenen sechs Jahre. Am Freitag feiert er 65. Geburtstag. Mit ihm sprach Bernhard Hertlein.

Die Metall- und Elektrokonjunktur hat angezogen. Was erwarten Sie für dieses Jahr?Kannegiesser: In der Branche einen Produktionsanstieg von mehr als vier Prozent. Besonders gut läuft der Maschinenbau mit gut fünf Prozent. Dagegen liegen Elektronik und Industrieautomation leicht unter dem Durchschnitt. Im Durchschnitt ist auch der Ertrag zufriedenstellend. Nach einer langen Durststrecke hat sich die Metall- und Elektrobranche (M+E) endlich wieder in die Weltkonjunktur eingehängt. Zu schaffen machen uns die gestiegenen Material- und Energiekosten, die nur zu einem ganz kleinen Teil an die Kunden weitergegeben werden konnten.

Wie ist die Lage für die Beschäftigten?Kannegiesser: Gut, weil die Betriebe gut ausgelastet sind. Die deutsche M+E-Industrie hat in den vergangenen Jahren ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessert. Nun stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis eher, und wir bekommen wieder mehr Aufträge. Ändert sich dies, kann es aber schnell zu Problemen führen.

Erleben wir einen Frühling oder eine grundlegende Wende?Kannegiesser: Konjunkturelle Schwankungen sind stets von begrenzter Dauer. Das Gute daran ist, dass es immer wieder einen Frühling gibt. Immerhin ist unsere Branche robuster geworden. Wenn sich das Konjunkturklima abkühlt, müssen wir nicht gleich eine Lungenentzündung befürchten.

Wie bewerten Sie den Beitrag der Großen Koalition zur konjunkturellen Erholung?Kannegiesser: Die jetzige Erholung ist in erster Linie Ergebnis der Umstrukturierung, die in den Betrieben ganz ohne Zutun der Politik erfolgt ist. Bei ähnlichen Bemühungen haben frühere Regierungen die Wirtschaft mehr gehindert als ihr geholfen. Das hat sich bereits während der unter großen Geburtswehen zustande gekommenen rot-grünen Reformbemühungen geändert. Diese positive Entwicklung setzt die Große Koalition fort. Natürlich wünschen wir uns darüber hinaus von der Mehrheit mehr Entschiedenheit bei den Reformen.

Wann kommt der Aufschwung mehr am Arbeitsmarkt an?Kannegiesser: Er ist angekommen - nur noch nicht im gewünschten Ausmaß. Das braucht Zeit. Die hohe Arbeitslosigkeit hat sich auch über viele Jahre aufgebaut. Einige notwendige Strukturveränderungen wurden von der Politik inzwischen mutig angegangen. Doch für die Anpassungen, die die Weltwirtschaft uns abverlangt, geschieht manches noch zu zögerlich. So ist etwa das Thema Kündigungsschutz in Deutschland viel zu emotional besetzt. Viele gehen von der Schimäre aus, die Unternehmer dächten nur nach, wie sie Personal loswerden können. Das Gegenteil ist wahr. Wir alle wollen die Arbeitsplätze erhalten und uns weiter entwickeln. Aber es ist eben heute nicht mehr so leicht, die Zukunft zu planen.
Die Risiken kurzfristiger Veränderungen sind gewachsen. Deshalb ist es schwer, neue Arbeitsbeziehungen einzugehen, von denen man weiß, dass man sich nur schwer und mit hohen Kosten aus ihnen wieder lösen kann. Also agieren die Unternehmen vorsichtig und setzen auf befristete Verträge und Leiharbeitnehmer. Wer ehrlich ist, wird zugeben, dass er sich im privaten Rahmen genauso verhalten würde.
Andererseits kann man den Arbeitnehmer verstehen, der nach Sicherheit strebt. Die Unternehmen erkennen auch immer mehr, wie wichtig es ist, Know-how im Unternehmen zu binden. Dies wird in Zukunft noch wichtiger werden. Im Grunde gibt es für den Arbeitnehmer keinen besseren Schutz als den Erfolg des Unternehmens. Deshalb muss das Eingehen und wieder Lösen von Arbeitsbeziehungen einfacher werden. Das heißt nicht, dass es künftig überhaupt keinen Kündigungsschutz geben soll.

Hat die Tarifpolitik der vergangenen Jahre den Standort sicherer gemacht?Kannegiesser: Ja, das hat sie. Der Abstand zwischen unseren Lohnstückkosten und denen aller vergleichbaren Länder hat sich verringert. Wir sind zwar unter den Industrienationen immer noch die teuersten; aber der Abstand hat sich verringert.
Außerdem ist die Tarifpolitik heute flexibler und differenzierter. Er ist nur noch ein Rahmen mit großen Gestaltungsmöglichkeiten für die einzelnen Betriebe.

Was muss sich an der Tarifpolitik noch ändern?Kannegiesser: Derzeit orientieren wir uns noch zu sehr an nationalen Kenngrößen. Der Wettbewerb ist jedoch grenzüberschreitend. Deshalb müssen wir auch in unseren Lohnsystemen die internationale Vergleichbarkeit stärker beachten.

Dann hat der Flächentarifvertrag eine Zukunft?Kannegiesser: Er ist die für uns beste Art der Lohnfindung. Die Alternative bestünde darin, dass sich jeder Betrieb mit jedem seiner Mitarbeiter verständigt. Oder wir bekämen eine Vielzahl von »Cockpits« und ähnlichen Kleingewerkschaften, die in den Betrieben ihre Aktivitäten entfalten. Der Flächentarif ist gut für die Zukunft, auch weil er den gewachsenen Besonderheiten in unserem Land am besten gerecht wird. Allerdings besteht er heute aus einem Gesamtsystem aus verbindlichen Normen und betrieblichen Regelungsmöglichkeiten, Ergänzungen und Öffnungsklauseln.

Nach Ereignissen wie der Mannesmann-Prozess, Personalreduzierungen trotz Rekordgewinn etwa bei der Deutschen Bank und der Insolvenz der Deutschen BenQ steigt die Kritik an den Managern. Wie bewerten Sie das?Kannegiesser: Es wäre ein Teil guter Unternehmensführung, wenn Manager manchmal mehr Sensibilität entwickelten und Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Menschen nähmen. Andererseits müssen Öffentlichkeit und Arbeitnehmerschaft aufhören, Einzelfälle geradezu hysterisch zu bewerten. In Deutschland gibt es Hunderttausende erstklassiger Manager und Geschäftsführer. Nicht ohne Grund belegen die deutschen Unternehmen im Ranking des World Economic Forum seit etlichen Jahren Platz 2. Rundumschläge sind immer falsch.

Artikel vom 08.11.2006