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Plagen und Exodus in
schönster Klangmalerei

Ausklang der Konzerttage mit Händels »Israel in Egypt«

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Wieder war es eine konzentrierte und reiche Woche mit hörenswerten Entdeckungen und bewährten Gourmandisen, die im Rahmen der Konzerttage das geneigte Publikum erfreuten. Zum Ausklang zog jede der drei Innenstadtkirchen noch einmal sämtliche Register.

Die Marienkantorin tat dies mit einem weiteren originellen Benefizkonzert zugunsten einer neuen Orgel für die Neustädter Marienkirche. So ließen sich Ruth M. Seiler an der schwächelnden Kleuker-Orgel und der Philharmoniker Klaus Bertagnolli als Schlagzeuger und Zementmischer allerlei musikalische Spielereien entlocken, die als »Improvisationen für Orgel, Schlagwerk und Zementmischer« sowohl für ungewohnte als auch für unterhaltsame Hörerlebnisse sorgten. Dazwischen lauter für Orgel und Schlagzeug komponierte Avantgarde, die jedoch keineswegs atonal oder kakophon daherkam, sondern beide Instrumente als kongeniale Partner in unterschiedlich dialogisierender Weise vorführte. Wie gut Schlagwerke und Orgel harmonieren, zeigte ferner die Bearbeitung einer Böhm-Partita, die in den Passagen mit Vibraphon einen geradezu überirdischen Klangzauber entfaltete.
Nicht eigentlich transzendent, aber doch dem Lobe Gottes dienend, empfahl sich tags darauf der Bläserkreis der Altstädter Nicolaikirche unter seinem leitenden Organisten Hartmut Sturm. Im hauptsächlich frühbarock-barock gewirkten Programm offenbarten die Bläser neben einer enormen Geschmeidigkeit und Intonationsgenauigkeit auch die Fähigkeit, nuancierte, farbenprächtig strahlende Klangbilder zu erzeugen. Im Wechsel mit Sturms manuell hochstehender, strukturbedachter organistischen Präsenz an der Beckerath-Orgel erlebte das Publikum eine erhebende Stunde und gewann die glückliche Erkenntnis, dass die Kirchenmusik an der Altstädter Nicolaikirche auch in Ermangelung eines hauptamtlichen Kantors keineswegs brachzuliegen scheint.
End- und Höhepunkt der Konzerttage erlebte das Publikum am Sonntag in der voll besetzten Jodokus-Kirche, wo es sich Georg Gusia nicht hatte nehmen lassen, Georg Friedrich Händels Oratorium »Israel in Egypt« in Vollständigkeit zur Aufführung zu bringen, was angesichts des enormen Umfangs und des gewaltigen Choranteils eine außerordentliche Herausforderung darstellte.
Ehrensache, dass der auf größt mögliche Authentizität bedachte Jodokus-Kantor dazu nicht nur die englische Originalfassung zitierte, sondern auch ein äußerst versiertes Orchester aufbot, das auf historischen Instrumenten klangliche Frische und Affetto in schönster Barock-Manier verströmte. Ausgestattet mit einem prononciert agierenden Continuo-Appart, griffiger Streichergruppe und ausgezeichneten Bläsersolisten, entfaltete sich das von Händel lautmalerisch entworfene Bild der alttestamentarischen Plagen und des Exodus der Israeliten in mitreißender plastischen Klangrede.
In diesem zweiten und musikalisch attraktivsten Teil des Oratoriums zeigte auch der Kammerchor seine mehrfach unter Beweis gestellt Präsenz in Form von akzentuierter und beweglicher Stimmführung, klanglicher Ausgewogenheit und Transparenz.
Im dritten Teil schmälerten jedoch unüberhörbare Durchhänger den Hörgenuss. So muss sich Gusia fragen lassen, ob Vollständigkeit in diesem Fall tatsächlich das Nonplusultra darstellt, zumal der selten gespielte erste Teil (eine Stunde) mit bescheidenem musikalischem Material aufwartet, nichtsdestoweniger aber Konzentration und Kraft abschöpft.
Das Mammut-Projekt, welches zudem solide Solisten aufbot (Veronica Lenz-Kuhn, Sopran; Petra von Laer, Alt; Steffen Wolf, Tenor; Friedemann Klos, Bass), verdient gleichwohl Respekt und erfreute sich am Ende großen Beifalls.

Artikel vom 07.11.2006