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Gelähmter erhält 80 000 Euro

Nach Polizeieinsatz im Rollstuhl: Unfallversicherung akzeptiert Vergleich

Von Christian Althoff
Espelkamp (WB). 80000 Euro zahlt die Provinzial-Unfallversicherung einem Mann aus Espelkamp (Kreis Minden-Lübbecke), der seit einem Polizeieinsatz querschnittsgelähmt ist.

Das ist das Ergebnis eines Prozesses, der gestern vor dem Oberlandesgericht Hamm stattgefunden hat. Andreas K. (36) war erleichtert, als eine Freundin ihn im Rollstuhl aus dem Gerichtssaal schob. »Seit vier Jahren kämpfe ich um mein Recht, und dies war der erste Erfolg«, freute er sich.
Der Heizungsbauer soll im Dezember 2002 in den »Altstadtstuben« in Rahden alkoholisiert Mädchen eines Fanfarenzuges belästigt haben. Als er die Gaststätte nicht verlassen wollte, rief Wirt Alfred M. (53) die Polizei. Die beiden Streifenbeamten sagten gestern aus, Andreas K. sei ihnen damals bereitwillig nach draußen gefolgt. Dort sei es zu einem Handgemenge gekommen, weil der Mann zurück in die Gaststätte gewollt habe. Die Beamten hatten ihn auf den Boden gedrückt, ihm Handschellen angelegt und ihn in den Streifenwagen verfrachtet. Dabei muss es zu »massiver Krafteinwirkung auf die Halswirbelsäule« gekommen sein, wie Rechtsmediziner Prof. Dr. Gerhard Fechner gestern erklärte. Ein Wirbel verschob sich um drei Zentimeter und verletzte das Knochenmark. »Die Kraft, die dafür notwendig war, entspricht der eines Schleudertraumas, das man bei einem Aufprall mit Tempo 80 erleidet«, erläuterte der Mediziner. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Polizisten waren jedoch eingestellt worden, weil ihnen »kein vorwerfbares Verhalten nachgewiesen werden konnte«.
Vor dem OLG klagte Andreas K. gestern gegen seine Unfallversicherung, die die für den Fall der Vollinvalidität vereinbarten 160 000 Euro nicht zahlen wollte. Die Provinzial berief sich darauf, dass sie den Versicherungsbedingungen zufolge nicht zahlen müsse, wenn eine Straftat zu dem Unfall geführt oder das Opfer Bewusstseinsstörungen gehabt habe. Das Amtsgericht Bielefeld hatte noch beide Ausschlussgründe verwirklicht gesehen und die Klage abgelehnt. Die OLG-Richter sahen den Fall jedoch anders: Prof. Fechner erklärte nämlich, die Alkoholisierung von Andreas K. (zur fraglichen Zeit 2,5 Promille) führe bei einem alkoholgewohnten Menschen nicht zwingend zu Bewusstseinsstörungen. Und nach den Schilderungen der Polizeibeamten konnte auch nicht länger davon ausgegangen werden, dass Andreas K. eine Straftat, nämlich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, begangen hatte. »Die Polizisten hatten schließlich nur von einer Rangelei gesprochen«, sagte Dr. Rolf Lammermann (Minden), der Anwalt des Klägers. Das Gericht regte deshalb einen Vergleich an, dem beide Parteien zustimmten. Andreas K. bekommt 80 000 Euro, damit sind alle Ansprüche gegen die Provinzial abgegolten.
Beim Landgericht Bielefeld ist jetzt noch eine Schmerzensgeldklage des Espelkampers gegen das Land NRW anhängig. »Die Aussagen, die heute vor dem OLG gemacht worden sind, werden uns helfen, den Schmerzensgeldprozess zu gewinnen«, zeigte sich Rechtsanwalt Dr. Rolf Lammermann gestern zuversichtlich.

Artikel vom 09.11.2006