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Glos will
Flexibilität wie
in Dänemark

Koalitionsstreit um Kündigungsschutz

Berlin (Reuters/dpa). Der Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, den Kündigungsschutz zu lockern, ist bei der SPD und den Gewerkschaften auf Widerstand gestoßen. Für eine Änderung bestehe überhaupt keine Notwendigkeit, sagte der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner aus Verl (Kreis Gütersloh).

Es gebe in Deutschland weder einen zu starren noch einen zu schwachen Kündigungsschutz. »Er ist genau richtig«, sagte Brandner. Auch die Eisenbahner-Gewerkschaft Transnet lehnte die Vorschläge umgehend ab: Glos ebne den Weg in eine Gesellschaft des Heuerns und Feuerns, in der beliebig gekündigt werden könne.
Der CSU-Wirtschaftsminister hatte vorgeschlagen, den Kündigungsschutz nach dänischem Vorbild zu ändern. Kombiniert mit einem höheren Arbeitslosengeld, das an schärfere Auflagen geknüpft sein müsse, könne ein solcher Umbau zu einer Belebung am Arbeitsmarkt führen, schrieb Glos in der »Welt am Sonntag«. Zudem müsse es nach einer Kündigung schnelle Anstrengungen für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt geben.
Unterstützung erhielt er vom CDU-Mittelstandspolitiker Michael Fuchs. »Das dänische Modell ist überlegenswert«, sagte Fuchs. »Es wäre vorteilhaft, im ersten Monat der Arbeitslosigkeit kein Geld auszuzahlen.« Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Hendrik Hering (SPD) hingegen nannte den Vorstoß »kurzsichtig und nicht durchdacht«. Die Belebung am Arbeitsmarkt zeige, dass bisherige Maßnahmen griffen. »Wir haben den Schutz schon massiv eingeschränkt. Irgendwann muss auch mal Schluss sein.«
In Dänemark ist der Begriff Kündigungsschutz so unbekannt, dass er sich weder in den Gesetzen noch in Wörterbüchern findet. »Dafür garantieren wir ein hohes Maß an sozialer Sicherheit«, sagt Arbeitsminister Claus Hjort Frederiksen und verweist auf vier Jahre Arbeitslosengeld mit bis zu 90 Prozent des vorherigen Einkommens für Niedrigstverdiener. Das Grundprinzip lautet: gute Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit für Betroffene und dafür im Gegenzug weitgehende Freiheit für Arbeitgeber, immer dann recht schnell auch in großer Zahl »zu feuern«, wenn sie das wegen Auftragsmangel oder aus anderen Gründen für richtig halten.
Anmeldefristen, langwierige Verhandlungen mit Betriebsräten und am Ende hohe Abfindungsansprüche haben dänische Personalchefs vor Massenentlassungen nicht zu fürchten. Umgekehrt, so erkennen auch Gewerkschafter an, sind dänische Unternehmen viel schneller als anderswo zu Neueinstellungen bereit.
Die Arbeitslosenquote von 4,2 Prozent nach einem Wirtschaftsboom seit Mitte der 90er Jahre gilt als eindrucksvoller Beweis für den Erfolg des dänischen Systems. Ausländische Bewunderer haben ihm den Namen »Flexicurity« verpasst: Flexibilität für Sicherheit (Security). Dazu gehört auch eine aufwendige Betreuung von Arbeitslosen mit der »Aktivierung« per Arbeit oder Weiterbildung spätestens nach einem Jahr und harten Zumutbarkeitsregeln bei der Annahme angebotener Jobs.
Auch der Arbeitsminister räumt ein, dass die früher wirklich hohe Absicherung dänischer Arbeitsloser inzwischen teilweise nur noch ein Mythos ist. Bei maximal umgerechnet monatlich 1800 steuerpflichtigen Euro Arbeitslosengeld kommt auch der Normalverdiener gerade mal auf 50-60 Prozent seines vorherigen Einkommens. »Es muss einen Anreiz geben, sehr schnell wieder Arbeit zu suchen«, sagt Frederiksen.
Demoskopen ermitteln immer wieder Grundvertrauen als wichtigsten Grundpfeiler für das gute Funktionieren von Flexicurity: Jahr für Jahr bestätigen Umfragen in allen EU-Ländern, dass sich die Menschen nirgendwo in Europa so gut sozial abgesichert und generell »glücklich« fühlen wie im Königreich Dänemark.

Artikel vom 06.11.2006