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Panne im Stromnetz - Millionen
Europäer saßen im Dunkeln

Ursache des Blackouts noch unbekannt - deutsche Versorger in der Kritik

Hamburg (dpa/WB). Seinen Anfang nahm der Domino-Effekt möglicherweise im norddeutschen Papenburg. Weil die »Norwegian Pearl«, jüngster Luxusdampfer aus der Meyer-Werft, ihre Fahrt in Richtung Nordsee antreten sollte, wurde aus Sicherheitsgründen eine E.ON-Starkstromleitung über die Ems ausgeschaltet.

Reine Routine eigentlich, bei zahlreichen anderen Schiffsüberführungen eingeübt. Doch diesmal lief es anders. »Eine halbe Stunde vor dem Netzausfall wurde die Höchstspannungsleitung über der Ems nördlich von Papenburg ausgeschaltet«, sagte gestern der Sprecher der E.ON Netz, Christian Schneller. »Hier kann es möglicherweise einen Zusammenhang geben.« Das allein erkläre aber nicht den Vorgang, der dann zu Stromausfällen in Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien führte. Schneller: »Es muss noch andere Ursachen geben.«
Darunter vielleicht auch die, die ein Sprecher des NRW-Wirtschaftsministeriums nannte: Er erläuterte, je nach Menge des zugeführten Windkraft-Stroms müsse der Anteil von Strom anderer Energieträger angepasst werden. Am Samstag habe es eine erhöhte Einspeisung von Windkraft-Strom gegeben - im Gegenzug sei aber vermutlich die übrige Strommenge nicht passend reduziert worden.
Wenigstens dauerte der Energieausfall meist nicht länger als eine Stunde. Doch das reichte auch so schon. Etwa zehn Millionen Europäer seien von der Panne betroffen gewesen, sagte der Präsident des französischen Stromzulieferers RTE, André Merlin, gestern in Paris. Sein Vorstandsmitglied Pierre Bornard glaubt, Europa sei nur knapp einem völligen Blackout entgangen.
Die deutsche Bundesregierung griff die zuständigen Energieriesen, ohnehin wegen der Strompreisdebatte im Visier, scharf an. Sie müssten ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen und ein leistungsfähiges Stromnetz gewährleisten, sagte der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) verlangte von E.ON eine rückhaltlose Aufklärung. Über Schäden wurde zunächst nichts bekannt. Dank der späten Stunde am Samstag hält er sich vermutlich in Grenzen.
Belgische und französische Netzbetreiber hatten schon am Sonntagmorgen eine Panne im deutschen Stromnetz für die Ausfälle verantwortlich gemacht. »Um 21.30 Uhr wurde dort eine Hochspannungsleitung von 400 000 Volt ausgeschaltet«, sagte Erik De Leye, Sprecher des belgischen Netzbetreibers Elia. »Um 22.10 Uhr geriet dadurch eine andere Hochspannungsleitung unter Überlast mit einem Dominoeffekt für die umliegenden Länder.« Laut E.ON fiel der Strom im E.ON-Netz um 22.10 Uhr aus und wurde spätestens um 22.48 Uhr wieder angeschaltet.
Der Stromausfall betraf nach Angaben der Deutschen Bahn mehr als 100 Züge mit mehr als 1000 Fahrgästen direkt. Aber im gesamten Zugverkehr gab es danach bis zu zwei Stunden Verspätung. In Frankreich traf der Blackout vor allem den Norden und Stadtteile von Paris. Französische Medien sprachen von der »größten Strompanne seit fast 30 Jahren«. In Belgien kam der Zugverkehr bei Antwerpen zum Erliegen. In Italien waren mehr als 100 000 Menschen betroffen, vor allem um Turin herum.
Auch in einigen Teilen Spaniens kam es zu Energieengpässen. Dort waren Kraftwerke automatisch abgeschaltet worden. Sogar die Verbindung von Spanien nach Marokko wurde zum Schutz der dortigen Anlagen abgestellt.

Artikel vom 06.11.2006