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amnesty international

»Jeder hat das Recht auf ein faires Verfahren, auch Menschen wie Saddam.«

Leitartikel
Saddam verurteilt

Chance zur Aufarbeitung vertan


Von Reinhard Brockmann
Nicht einmal die Verantwortung für den Tod von einer Million Menschen - so viele Iraker starben unter der Herrschaft der Baath-Partei - rechtfertigt das Todesurteil über Saddam Hussein. Schon in 30 Tagen könnte Saddam hängen - »solange, bis der Tod eintritt«, wie es sein Richter verfügt hat.
Zur Stunde ist unklar, ob es noch zu einem zweiten Verfahren kommt, ob sich Saddam für die Gasangriffe auf die kurdische Zivilbevölkerung rechtfertigen muss. Schon das zeigt, welche Chance mit dem Verfahren im Lande durch ein irakisches Gericht vergeben worden ist. Besser wäre ein internationales Tribunal gewesen, wie es sie nach dem Muster der Anklagen gegen Massenmörder vom Balkan und aus Ruanda gibt.
Es geht nicht um Saddams Vorwurf der »Siegerjustiz«, wichtiger sind globale Maßstäbe zum Umgang mit Despoten auf Präsidentensesseln, die die Geschichte genauso kennt, wie es sie auch in Zukunft geben wird. Viel zu wenige Machthaber wurden bislang wegen ihrer Untaten in einem einigermaßen geordneten Verfahren zur Rechenschaft gezogen. Pol Pot wurde lange geschont, Adolf Hitler entkam durch Selbstmord, Slobodan Milosevic erlebte immerhin, wie umfänglich Verbrechen gegen das Völkerrecht aufgearbeitet werden können.
Stünde Saddam Hussein in einem Drittland vor internationalen Richtern, bestünde die Chance, alles aufzuarbeiten, was dem irakischen Volk seit den 1960er Jahren wirklich angetan wurde. Saddams möglicher Tod noch in diesem Jahr wird untergehen in dem chaotischen Drama, das sich mit dem Zerfall des Iraks in drei kaum weniger stabile Gebilde derzeit abspielt.
Spätestens wenn sich die Amerikaner eines Tages unter Schimpf und Schande vom Kriegsschauplatz gestohlen haben, dürfte die Glorifizierung des Diktators wieder einsetzen.
Saddam Hussein muss während seines langen, von politischen Morden gesäumten Aufstiegs klar gewesen sein, dass es für ihn kein geordnetes Zurück gibt. Herrschen oder sterben, dürfte die Alternative von Anfang an gelautet haben. Dass er allerdings nicht durch einen Attentäter gemeuchelt würde, sondern erst vor einen Richter treten musste, wird ihm bis 2003 nicht bewusst gewesen sein.
Immerhin, das irakische Volk sieht Bilder von einem brutalen Schlächter, der sich seine Taten vorhalten lassen muss. So etwas ist immer noch unerhört für ein Land, das nie etwas anderes als Willkürjustiz erlebt hat. Vom hohen Sockel des Personenkults, mit dem sich auch andere Alleinherrscher gottgleich präsentieren, schrumpfte ein bärtiger Mann mit bösem Blick auf Normalmaß zurück.
Das ist bei allen Einschränkungen die gute Botschaft aus Bagdad. Künftige Bilder von der - möglicherweise - öffentlichen Hinrichtung können nur schaden. Sie machen nichts ungeschehen und sind einfach nur widerlich.
Christen, Juden und Muslime teilen eine Überzeugung: Es gibt noch eine höhere Gerechtigkeit.

Artikel vom 06.11.2006