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Bernd Wilden: Komponist mit steigender Profilschärfe.

Das Grauen
schleicht auf
leisen Sohlen

Festival-Auftakt mit »Der letzte Mann«

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Die »Heimlichen Helden« der Stummfilm-Ära gilt es in dieser Woche zu feiern, schenkt doch das 17. Film- und Musikfest der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Gesellschaft in Stummfilmklassikern und cinematographischen Entdeckungen dem »Kleinen Mann auf Heldenfahrt« seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Der Auftakt mit Murnaus 1924 abgedrehtem Film »Der letzte Mann« hätte kaum gelungener ausfallen können. Denn Bernd Wildens noch druckfrische Filmmusik verdichtet das Geschehen auf der Leinwand zu einem spannenden Musikdrama.
Mit »Der letzte Mann«, der einen Meilenstein in der Entwicklung der Filmtechnik bedeutete, drehte Murnau eine als Parabel über die Schicksalhaftigkeit des Lebens verpackte sozial- und gesellschaftskritische Geschichte über Rechtlosigkeit, Willkür und Mitleidlosigkeit. Ein alter Portier eines Luxushotels wird zum Toilettenmann degradiert. Stolzierte er einst in seiner prächtigen Livree ins Arbeiterviertel, wo er von allen bewundert wurde, so geht nun der Verlust der Uniform mit dem Verlust des Selbstwertgefühls und öffentlicher Anerkennung einher. Von den Nachbarn hämisch verlacht, von den Verwandten verstoßen, zieht sich der Alte, zum »letzten Mann« geworden, in den im Keller gelegenen Abort zurück. Der Zensur der Weimarer Republik ist es geschuldet, dass sich Fortunas Rad weiterdrehte: Der Toilettenmann wird schließlich dank des von einem reichen Hotelgast hinterlassenen Vermögens selbst zu einem umworbenen Gast.
Als Tonsetzer der emotionalen Vertiefung und psychologischen Ausdeutung empfahl sich Wilden bereits vor zwei Jahren, als er eine neue Filmmusik zu »Nosferatu«- vorlegte. In Vergleich zu seinem neuesten Werk offenbart »Nosferatu« eine handwerklich solide gesetzte musikalische Plakatierungskunst, während »Der letzte Mann« mit einer außerordentlich subtilen Tonsprache fasziniert.
Bernd Wilden beweist hier, dass er die Klangfarben des Orchsters gezielt einzusetzen vermag. Sein Credo lautete diesmal: Weniger ist mehr. Nur selten lässt er sich zu monumentaler Klangentfaltung oder einer schwungvollen, bewegungschoreographisch motivierten Nachzeichnung (Beispiele: Drehtür, Alkoholrausch) hinreißen. Vielmehr sind es die leisen Töne, das gerade noch hörbare Pochen der Bässe, des Schlagapparates und der tremolierenden Streicher, die das Schicksal und die desolate Gemütslage des Portiers (be)-greifbar werden lassen.
Darüber hinaus erfüllt die Musik immer wieder auch eine bloßlegende, doppelbödige Funktion. Dazu setzt Wilden in parodierender Weise bekannte Muster aus Militär- und Volksmusik ein, allen voran das Volkslied »Hinterm Städtele hält der Bettelmann Hochzeit«, das leitmotivisch -Ê so einfach wie genial -Ê das Werk durchzieht.
Unter dem Dirigat des Komponisten setzte das Philharmonische Orchester Hagen, ein schon bewährter Partner, die Partiturvorgaben präzise und punktgenau, spannungsreich und einfühlsam um. Besser geht's nicht.

Artikel vom 06.11.2006