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»Rohrkrepierer der Archäologie«

Forscher: Kalkriese soll den Titel »Ort der Varus-Schlacht« zurückgeben

Von Ernst-Wilhelm Pape
Detmold (WB). Museum und Ausgrabungspark in Kalkriese bei Osnabrück sollten den Titel »Ort der Varusschlacht« zurückgeben. Das hat der lippischen Heimatforscher Christian Hinder (44) aus Lemgo nach den jüngsten Ausgrabungsfunden gefordert.
Christian Hinder: Die Lipper müssen sich wehren.

Die jetzt frei gelegten Spitzgräben, die ein Römerlager belegten, passten so gar nicht zu der These, die Varus-Legionen seien bei Osnabrück auf dem Marsch überrascht, von den germanischen Stämmen in einen Hinterhalt in der Niewedder Senke gelockt und vernichtend geschlagen worden. Die Gräben seien exakt und sauber gearbeitet. Ein zügiges, unsauberes Erstellen der Gräben unter Zwang, also in einer Notlage oder Krisensituation, scheide aus.
Seit 15 Jahren versuche Kalkriese mit einem enormen Aufwand, sich als Schauplatz der Varus-Schlacht in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Mindestens zehn Millionen Euro seien bislang in die Grabungen geflossen. Kritiker, die Kalkriese als Ort der Varus-Schlacht anzweifelten, hätten kam Gehör gefunden oder seien mundtot gemacht worden. Kalkriese erweise sich immer mehr als »archäologischer Rohrkrepierer«. Im Hinblick auf den wahren Ort der Varus-Schlacht sei jetzt die Archäologie in Lippe gefordert. Auch dorthin müssten Zuschüsse fließen.
Die Grabungsleiterin in Kalkriese, Susanne Wilbers-Rost, will am 9. November die aktuellen Grabungsergebnisse vorstellen.
»Wir gehen nach wie vor davon aus, dass zumindest ein Großteil der Varus-Schlacht in Kalkriese stattgefunden hat«, sagte Wilbers-Rost dieser Zeitung. Wilbers-Rost ist zudem am 15. November um 19 Uhr zu Gast im Lippischen Landesmuseum in Detmold und nimmt an einer wissenschaftlichen Diskussion über den Ort der Varus-Schlacht teil. Auf dem Podium sitzt neben anderen auch Professor Reinhard Wolters von der Universität Tübingen. Wolters hat bereits ins Gespräch gebracht, dass die Spuren des großen Kampfes bei Kalkriese nicht von der Varus-Niederlage, sondern eher von der Schlacht des Legaten Aulus Caecina stammen.
Auch Professor Peter Glüsing aus Münster datiert die Kampfspuren auf die Jahre 15 bis 16 nach Christus. Zu dieser Zeit habe es römische Rachefeldzüge gegeben.
Auch Professor Dr. Heinz Günter Horn, der ehemalige Leiter des Referates Bodendenkmalschutz und Bodendenkmalpflege beim NRW-Ministerium für Bauen und Verkehr, zieht in Zweifel, dass Kalkriese 9 Jahre nach Christus der Ort der Schlacht im Teutoburger Wald war. Es gebe offensichtlich bedenkenswerte Argumente, Kalkriese eher mit den für die Römer ebenfalls verlustreichen Kämpfe im Sommer 15 n. Chr. in Verbindung zu bringen.
Damals sei Aulus Caecina mit einem Teil des niedergermanischen Heeres auf dem Rückmarsch von der Weser an den Rhein in einen Hinterhalt des Arminius geraten.
Auch die Münzfunde, die den Gegenstempel aus dem Römerlager tragen, müssten differenzierter gesehen werden. Es sei keinesfalls sicher, dass das Enddatum des Legionslagers Haltern mit dem der Varus-Schlacht zusammenfalle. Einiges spreche dafür, dass dieser strategisch bedeutsame Militärplatz bis in die Zeit der Germanicus-Feldzüge (15/16 n.Chr.) bestanden habe.

Artikel vom 04.11.2006