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Mit 4000 Mark ganz von vorn beginnen

WESTFALEN-BLATT-Serie - Folge 13: 1961 beschließt Gildemeister Umzug nach Sennestadt

Von Stefanie Westing
Sennestadt (WB). Nicht mehr aus Sennestadt wegzudenken und eng mit dem südlichen Stadtbezirk verbunden ist die Firma Gildemeister heute. Das war nicht immer so. Bevor der Umzug des Unternehmens tatsächlich Realität wurde, mussten mehrere Hürden genommen werden. Welche, beleuchtet die 13. Folge der WESTFALEN-BLATT-Serie »Anno dazumal«.

Am 11. November 1961 machte es Gildemeister-Direktor Karl Bernhard Grautoff offiziell: Sein Unternehmen würde den Standort im Bielefelder Zentrum aus Platzgründen aufgeben. Die 24 000 Quadratmeter, die in der Nähe des Bahnhofes zur Verfügung standen, reichten nicht mehr aus, ließen eine Erweiterung aber auch nicht zu. Daher war von der Sennestadt GmbH ein 184 000 Quadratmeter großes Grundstück erworben worden. Zuvor waren Paderborn und Oerlinghausen als potenzielle andere Standorte im Gespräch gewesen, doch nirgendwo hatte man so günstige Voraussetzungen wie in Sennestadt gefunden.
Das neue Gelände lag etwa 15 Kilometer vom bisherigen Werk am Bielefelder Hauptbahnhof entfernt an der Bahnstrecke Bielefeld-Paderborn. Ein eigener Gleisanschluss war vorgesehen, und eine ebenfalls in Planung befindliche Landstraße, die das Unternehmen mit der Autobahn und der Fernverkehrsstraße Bielefeld-Kassel verbinden sollte, erschien verkehrstechnisch überzeugend. Der Umzug solle Schritt für Schritt geplant werden, hieß es vor genau 45 Jahren. Spätestens zehn Jahre nach dem Kauf des Geländes solle das ganze Unternehmen in Sennestadt ansässig sein und dort mehr als 2000 Arbeitskräfte beschäftigen, teilte Direktor Grautoff mit. Anfang 1962 sollte die erste Halle gebaut werden, im Herbst dann die Produktion beginnen. Das neue Gelände nahe dem Beckhof hatte sich ursprünglich die Firma Oetker ausgesucht. Diese hatte dann aber von ihren Plänen Abstand genommen.
Gildemeister hatte bis zu dem Zeitpunkt, als der Umzug beschlossen wurde, bereits eine eindrucksvolle Entwicklung hinter sich. 1870 hatte sich die frühere Reparaturwerkstätte des Fritz Gildemeister zur Werkzeugmaschinenfabrik »Gildemeister & Comme« entwickelt und ihre Produktion am Köln-Mindener Bahnhof in Bielefeld aufgenommen. Damals säumten noch Kartoffelfelder das Betriebsgelände. Irgendwann gab es keine Möglichkeiten mehr, die Produktion auszuweiten. Außerdem herrschte Parkraumnot im Zentrum. Bevor das gesamte Unternehmen den Umzug in Angriff nahm, sollte der Zulieferant Berg & Co. eine Art Tochterfirma, als Vortrupp die neuen Gegebenheiten auskundschaften. In einer gemieteten Fertigungshalle an der Industriestraße sollte die Spannfutterfabrik mit 80 bis 100 Arbeitsplätzen die Produktion aufnehmen. »Erweisen sich die Erfahrungen als positiv, folgt eine etappenweise Verlagerung der Firma Gildemeister«, hieß es. Zu diesem Zeitpunkt, Mitte des Jahres 1961, hatte die Werkzeugmaschinenfabrik bereits Weltruf erlangt und beschäftigte 1600 Mitarbeiter.
In den folgenden Monaten gerieten die Umzugspläne ins Stocken. Mehr als zwei Jahre vergingen, bevor Direktor Grautoff Mitte Februar 1964 ankündigte: »Wir beginnen noch in diesem Jahr mit dem Bau einer Fabrikationshalle auf unserem Gelände in der Sennestadt.« Er hoffe, die Produktion am 1. Oktober aufnehmen zu können. Die Endplanung sah für den Gildemeister-Neubau Fabrikationsraum von 48 000 Quadratmetern vor - doppelt so viel wie am Hauptbahnhof.
Sorgen bereitete das Potenzial an Arbeitskräften - an einem Mangel daran sei man in Sennestadt schon einmal gescheitert, gab Grautoff zu. Als vordringliche Aufgabe nannte er daher die Einrichtung einer großzügigen Lehrwerkstatt, um qualifizierte Fachkräfte auszubilden. Im Endstadium sahen die Expansionspläne 3000 Beschäftigte vor. Probleme bereitete die Frage der Finanzierung. Grautoff: »Da wir nach dem Krieg mit einem Kontostand von 4000 Mark ganz von vorn beginnen mussten, stehen uns diese enormen Summen noch nicht zur Verfügung.«
Bis Ende des Jahres 1964 dauerte es, bis tatsächlich Bewegung in die Gildemeister-Pläne kam. Am 29. Oktober des Jahres wurde der Grundstein für eine 3500 Quadratmeter große Werkhalle der Firma Berg & Co. gelegt, die dem Gildemeister-Chef gehörte. Dieses Unternehmen stellte einen Teil der neuen Halle Gildemeister zur Verfügung. Die Produktion in Sennestadt lief im Jahr 1965 an.
Die 14. Folge der WESTFALEN-BLATT-Serie »Anno dazumal« lesen Sie am 20. Dezember. Dann jährt sich der Tag, an dem das Gelände »Scherpels Bleiche« in Senne in den Besitz von Hermann Windel überging.

Artikel vom 11.11.2006