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Grüne Ideen - schwarze Zahlen

Heute im Gespräch: Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen im Bundestag

Bielefeld (WB). Die Idee der sozialen Marktwirtschaft wird von vielen Kräften in der Bundespolitik geteilt. Die Grünen wollen sie ökologisch weiterentwickeln. Reinhard Brockmann sprach darüber mit Fraktionschef Fritz Kuhn.Solartechnik trägt aus Sicht der Grünen zu gesundem Wirtschaftswachstum bei. Energieeffizienz und erneuerbare Energieen böten extrem gute Chancen, meint Fraktionschef Fritz Kuhn: »Man muss nur zugreifen.«
Was ist grüne Marktwirtschaft? Ein Gegenmodell zur sozialen Marktwirtschaft oder Ludwig Erhard für Ökologen? Kuhn: Wir haben uns vorgenommen, die soziale Marktwirtschaft aus der Nachkriegszeit in die neuen Verhältnisse zu transformieren. Wir haben die Klimakatastrophe, demographisch schwierige Verhältnisse, Globalisierung und Staatsverschuldung. Grüne Marktwirtschaft bedeutet die Neuordnung der sozialen Marktwirtschaft ergänzt um ökologische Marktwirtschaft.

Rot-Grün wurde in NRW abgewählt, auch weil grün als Gängelung und Verhinderung von Wachstum empfunden wurde. Kommt daher das Umdenken? Kuhn: Das ist ein völliges Missverständnis. Wir haben gerade mit der ökologischen Modernisierung überall im Lande Arbeitsplätze geschaffen. Unser Motto lautet: Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Wenn wir gute Klimaschutzpolitik machen, schaffen wir immer neue Jobs.

Kritiker nennen den Erfolg der Windkraft in Ostwestfalen eine Scheinblüte - finanziert aus überhöhten Stromrechnungen.Kuhn: Mit der technischen Reife der Windkraftanlagen sinkt der Zuschuss. Wir haben sehr darauf geachtet, dass degressiv gefördert wird. Außerdem: Windkraft und Solarstrom sind angesichts der Klimakatastrophe einfach die besseren Technologien. Sie sind ohne CO2, also wertvoller.

Wo gibt es die grünen Jobs?Kuhn: Die kommen erstens durch die ökologische Modernisierung. Und zweitens, indem wir die Schwarzarbeit abbauen. Nach unserem grünen Modell langsam ansteigender Sozialversicherungsbeiträge sinken die Lohnnebenkosten in den Einkommensbereichen unterhalb 2000 Euro. Das ist gut gegen Schwarzarbeit. Das Dritte ist eine konsequente Innovationsstrategie - mehr Bildung, Forschung und Entwicklung.

Trotz China und Indien: Wo kann Deutschland punkten?Kuhn: Ich glaube, dass wir die größten Wachstumspotenziale bei allen Effizienztechnologien im Zusammenhang mit Umwelt haben. Auch Material- und Nanotechnologie helfen, Wohlstand mit weniger Umweltverbrauch zu erzeugen.

Sie wollen offene Märkte und zugleich einen globalen Ordnungsrahmen, der Monopole und Oligopole abschafft. Geht das?Kuhn: Internationale Rahmenbedingungen für den Weltmarkt sind natürlich Fernziele. Wir brauchen im Sozialen, bei Kinderarbeit und im Ökologischen internationale Regelungen. Auch die kalifornischen Umweltschutzauflagen beeinflussen die deutsche Autoindustrie. Das heißt: Man kann mit nationalen Vorgaben weltweit etwas auslösen.

Sie nehmen auch die Verbraucher in die Verantwortung. Aber nur wenige zahlen freiwillig mehr, wenn Produkte öko, nachhaltig oder fair gehandelt sind.Kuhn: Viele Verbraucher würden Verantwortung übernehmen, wenn es Transparenz gäbe. Deshalb muss die Kennzeichnung von Produkten stark verbessert werden. Nehmen wir den biologischen Landbau und die etwas höheren Kosten. Das ist eine Frage der Überzeugungen. Grüne Marktwirtschaft hat immer auch mit Werten zu tun.

Und die grüne Marktwirtschaft funktioniert ganz ohne Atomstrom?Kuhn: Ich bin davon überzeugt. Je länger wir an der Atomkraft festhalten, um so weniger steigen wir in die Energiezukunft ein. Das meint: Energieeffizienz und regenerative Energiequellen. Wir haben immer wieder vorgerechnet, es kommt extrem gutes Wachstumspotenzial hinzu, wenn wir diesen Schritt endlich wagen.

Artikel vom 03.11.2006