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Wort zu Allerheiligen

Heute von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs

Dr.Dr. Markus Jacobs ist Pfarrer in der katholischen Kirchengemeinde Heilig Geist.

An eine Lehrstunde in Heiligenkunde hatte ich eigentlich gar nicht gedacht, als ich abends in diesem kleinen Dorf am Rande der Dolomiten angekommen war. Es ging mir um die Landschaft, die Berge, eine Höhenwanderung. Doch dann regnete es, der Aufstieg verzögerte sich, auch am nächsten Tag. Und so wurden aus diesem Aufenthalt zwei Tage der Erfahrung bester aktueller Heiligenverehrung.
Es fing eigentlich damit an, dass mich schon gleich beim Abstellen des Autos an einigen Fenstern der umliegenden Häuser Bilder eines Mannes verwunderten: er hatte europäische Gesichtszüge, aber fremdländische Kleidung. Das überall gleiche und nur verschieden vergrößerte Foto schien schon recht alt zu sein. Die Kleidung, insbesondere eine eigentümliche Mütze, erinnerten mich an frühere Bilder aus den fremden Gegenden Asiens.
Doch dann fand ich kurz darauf dasselbe Bild - diesmal kunstvoll gemalt - auch in der kleinen Kirche wieder, später auch noch in vielen anderen. Weiter durch die Straßen spazierend stieß ich an einigen Stellen sogar auf Plastikfahnen, die an den Hauswänden herunterhingen. Auch auf ihnen prangte dieses Bild, manchmal mit einigen deutenden Worten darunter. Und als ich im Laufe der zwei Tage noch in verschiedene Geschäfte und Privathäuser hineinkam: Es gab wirklich kein einziges Gebäude, keine Familie, keinen Laden, in dem nicht das Bild dieses Mannes an der Wand hing. Manchmal war es auch geschmückt mit Kräutern und Blumen, oft befand es sich ganz in der Nähe des Kreuzes, das über dem Türsturz hing.
Natürlich hatte ich mich recht bald informieren lassen: Dieses Bild stellte einen gewissen P. Josef Freinademetz dar. Und dieser Pater war vor drei Jahren von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen worden. Aus diesen Tagen rührten auch noch die eher ungewöhnlichen Fahnen an den Hauswänden. Aber warum diese Aufmerksamkeit in jedem Haus?
Dieser Mann stammte eben aus einem kleinen Ort, besser einer Bauernschaft mit nur vier oder fünf Höfen ganz in der Nähe. Er war 1852 in einer dieser Bauernfamilien geboren worden, wurde 1875 zum Priester geweiht und fühlte sich sofort von Gott in die Mission gerufen. Er trat in den ein Jahr zuvor erst gegründeten Orden der Steyler Missionare ein und reiste nach China. Dort verbrachte er sein gesamtes Leben. 1908 starb er an Typhus. Dazwischen lagen Jahre in ungeheurer Armut, Verfolgungen um des Glaubens willen, Krankheiten. Aber er gab Zeugnis für Christus, baute eine einheimische chinesische Kirche auf und wurde auch von Nicht-Christen wegen seiner unerschütterlichen Güte geachtet. Wo vorher niemand von Jesus gehört hatte, waren bei seinem Tode fast fünfzigtausend Christen.
Seine Heimat nun, die schönen Alpenwiesen und die Berge, all die Erinnerungen waren ihm in dieser bewusst angenommenen Fremde jedoch immer vor Augen. Und so schrieb er Briefe um Briefe, die auch seine Sehnsucht erkennen lassen.
Und als sich nun 1939 die ersten Personen meldeten, die sagten, dass sie P. Freinademetz um Fürsprache bei Gott gebeten hätten und wundersame Erhörungen fanden, beschäftigten sich die Menschen in diesem und den umliegenden Bergtälern noch mehr mit seiner Lebens- und Glaubensgeschichte. Denn seine Herkunft und sein Fühlen kannten sie ja besser als bei vielen anderen Vorbildern des Glaubens. Sie wussten, was es bedeutet, diese behütete Welt zu verlassen und um des Glaubens willen nach China zu gehen. Sie wussten, was er selbst an Glauben gelernt haben konnte und wie er dies dann konsequent umgesetzt hatte. In ihn konnten sie sich hineinversetzen, ihm konnten sie in gewisser Weise auch nacheifern.
Die Verehrung stieg auf jeden Fall im Laufe der Jahrzehnte immer weiter an, weitere Gebetserhörungen folgten. Vor allem aber kann bis heute jedes Kind auf der Straße aus dem Leben dieses Mannes erzählen. Welche Ermutigung war es dann noch, als P. Freinademetz tatsächlich von der ganzen Kirche offiziell als heilig anerkannt und zur Ehre der Altäre erhoben wurde.
Die Verehrung dieses Mannes in den kleinen Bergtälern seiner Heimat zeigt wie in einem Brennglas den Werdegang der Verehrung einer weltweit dann unübersehbaren Zahl an vorbildhaften Zeugen des Glaubens. Heute ist Allerheiligen, heute kommen sie alle in den Blick. Man kann sie nicht einmal alle kennen, aber es ist gut, einige von ihnen als Vorbilder und Fürsprecher zu haben.

Artikel vom 01.11.2006