31.10.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Von aufrechten Christenmenschen

Eine Betrachtung zum heutigen evangelischen Festtag Reformation

Pfarrer Gerd Kerl, Evangelische Kirche von Westfalen, Leiter des Instituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung und Mitglied der Kirchenleitung

Von Pfarrer Gerd Kerl
Vor einigen Jahren besuchte ich mit einer evangelisch-katholischen Reisegruppe Rom. Wir wurden von der Kirchenleitung der Waldenser-Kirche empfangen.
Diese kleine evangelische Kirche hat ein klares evangelisches Profil und ein großes Engagement in der diakonischen Arbeit. Bei dem Empfang durch die Kirchenleitung fragte ein katholischer Pater, der Mitglied unserer Reisegruppe war: »Wenn Sie einmal ihre ganzen sozialen Tätigkeiten weglassen, worin sind Sie dann noch Kirche?« Darauf antwortete ein Mitglied der Kirchenleitung, ein Professor für Physik: »Das will ich Ihnen gerne sagen: Unser Kennzeichen ist die Freiheit. Waldenser beten niemals gebeugt«, dabei krümmte er sich und senkte den Kopf, »sondern immer aufrecht,« dabei hob er den Blick nach oben und öffnete die Hände.
Diese Antwort hat mich beeindruckt. Ich erinnerte mich daran, dass die Reformation in Zürich mit einem Wurstessen an Karfreitag begann und Martin Luther eine seiner großen Schriften mit dem Titel »Von der Freiheit eines Christenmenschen« überschrieben hat. In dem Impulspapier »Kirche der Freiheit« der Evangelischen Kirche in Deutschland heißt es gleich auf den ersten Seiten: »Zu den Stärken des reformatorischen Christentums gehört die freie theologische ReflexionÉ Durch sie wird die Suche nach Veränderungsmöglichkeiten immer wieder neu an den Auftrag der Kirche gebunden. Dieser Auftrag liegt darin, das Evangelium zu verkündigen und Glauben zu wecken.«
So wichtig diese Freiheit des Glaubens und des Gewissens ist, so wenig ist damit gesagt, dass evangelischer Glaube keine Form bräuchte, in der Spiritualität und Glaube sich ausdrücken können. Martin Luther hat das schnell erkannt, als er aus Gemeindebesuchen zurückkam und merkte, wie wenig über den Glauben bekannt war. Seine pädagogische Antwort damals war der Kleine Katechismus, den viele ältere Gemeindemitglieder auch noch in großen Teilen auswendig gelernt haben.
Wir können sicher nicht zu diesem Verfahren zurückkehren. Aber dass Christinnen und Christen Auskunft geben können über ihren Glauben, bleibt eine Kernaufgabe evangelischer Bildung. Ermutigend ist es, dass Aktionen wie »7 Wochen ohne« in der Passionszeit oder »Advent ist im Dezember« oder die Kampagne um den Sonntag vielen Menschen neu Orientierung bieten.
Die Reformation war auch eine Singbewegung. Viele Lieder Luthers waren Gassenhauer. Mit einem Friedenslied Luthers, oft am Ende des Gottesdienstes gesungen, können Christen damals wie heute ihrem Glauben Ausdruck verleihen: »Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine.«

Artikel vom 31.10.2006