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Behörden müssen
genauer hinsehen

Kind misshandelt - Peiniger verurteilt

Von Uwe Koch
Herford (WB). Mit einem großen Lob für die mutige Aussage das Opfers ist der Prozess um die Misshandlungen der kleinen Susan (9) vor dem Landgericht Bielefeld zu Ende gegangen. Die Richter verurteilten ihren Peiniger, den Freund der Mutter, zu vier Jahren und neun Monaten Haft.

Der Mann wurde wegen der Misshandlung von Schutzbefohlenen, Nötigung und sexuellem Missbrauch verurteilt. Er nahm den Spruch - Staatsanwältin Rosemarie Zindel-Bösing hatte fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe beantragt - noch im Gerichtssaal an. Die 44-jährige Mutter des Kindes kam mit einer 21-monatigen Bewährungsstrafe wegen Nötigung, Körperverletzung und versuchter Strafvereitelung davon. Auch sie akzeptierte ihre Verurteilung.
Susan war am 14. November 2004 in der Herforder Sozialwohnung »aus nichtigem Anlass«, so Vorsitzender Richter Reinhard Kollmeyer, von dem 34-jährigen Martin H. mit Faustschlägen und Fußtritten traktiert worden. Das Mädchen erlitt einen lebensgefährlichen Milzriss, wurde nur durch eine Notoperation gerettet.
»In erbärmlichen Zuständen« habe die Familie gelebt, meinten die Richter der Jugendkammer des Bielefelder Landgerichts. Jedoch hätten die zuständigen Ämter diese Verhältnisse als »tolerierbar« angesehen. Kritisierte Kollmeyer: »Vielleicht muss man in manchen Familien etwas genauer hinsehen.«
Neben dem Opfer, das von der Mutter und deren Freund zum Stillschweigen gezwungen worden war, gab es Anerkennung der Richter für die Pflegefamilie, in der Susan jetzt lebt. Die Eltern hätten mit fürsorglicher Aufnahme, Geduld und Liebe auch den Mut des Kindes zu einer Aussage bestärkt. Susan hatte erst ein Jahr nach dem schreckliches Erlebnis über die Tat gesprochen.
Die Mutter sei »ein Stück weit zu ihrer Verantwortung zurückgekehrt«, indem sie trotz der Angst vor ihrem Freund sich vor dem Landgericht zu einer Aussage durchgerungen habe. Die Frau wird als Bewährungsauflage 300 Sozialstunden absolvieren. Sie wird zudem der Aufsicht der Bewährungshilfe unterstellte.
Dem Angeklagten schließlich hielten die Richter seine Reue zugute. Der Mann hatte nach den fürchterlichen Schlägen und Tritten sich selbst um ärztliche Hilfe gekümmert. H. will sich nun in der Haft in Therapie begeben. Letztlich betonte Reinhard Kollmeyer aber auch die Ohnmacht der Juristen: »Es gibt Verfahren, in denen wünscht man sich nicht Richter zu sein.« Denn ein »gerechtes Urteil gibt es sowieso nicht«.

Artikel vom 31.10.2006